"Sehe im Genossenschaftswesen prinzipiell viel Potential"

Rosmarie Pamer ist nicht nur Landeshauptmann-Stellvertreterin und Landesrätin für Sozialen Zusammenhalt, Familie und Ehrenamt, sondern in der neuen Landesregierung auch für das Genossenschaftswesen zuständig. Sie sieht die Tätigkeitsfelder der Genossenschaften als sehr wertvoll für die Menschen im Land und es gilt, das Potential der Genossenschaften weiterzuentwickeln, sagt Rosmarie Pamer im folgenden Interview.

Frau Landesrätin, sie waren Mittelschullehrerin, Bürgermeisterin und Sozialreferentin Ihrer Bezirksgemeinschaft. Was verbinden Sie konkret mit dem Thema Genossenschaft, wenn Sie an Ihr Heimattal und an Südtirol denken?

Landesrätin Rosmarie Pamer: Ganz konkret denke ich hier an gute Beispiele von Genossenschaften, wie etwa die verschiedenen Energiegenossenschaften in meinem Heimattal, sie bieten viele Vorteile für ihre eigenen Mitglieder. Das ist einer der Hauptgründe, eine Genossenschaft zu gründen, nämlich die gegenseitige Unterstützung und Förderung der Mitglieder, denn für die Mitglieder der Genossenschaft können bessere Bedingungen geschaffen werden, als sie jedes Mitglied für sich allein auf dem Markt erzielen könnte. Spontan fallen mir aber auch die Sozialgenossenschaften ein, die Kleinkind-Betreuungsdienste für die Familien in Südtirol organisieren. Wir haben mittlerweile 120 Kitas in Südtirol, die meisten davon werden von Genossenschaften geführt. In St. Martin hatten wir bereit im Jahr 2007 eine Kita eröffnet und waren damit Vorreiterin im Land. Zentral sind für mich aber auch alle Genossenschaften vom Typ B, die die Arbeitseingliederung von sozial benachteiligten Personen als Auftrag und Ziel haben. Sie nehmen einen ungemein hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein, sie sind mir sehr wichtig.

Kinder- und Seniorenbetreuung, Alterspflege oder die Beschäftigung für Menschen mit Beeinträchtigung sind einige der herausfordernden gesellschaftlichen Aufgaben, die auch über genossenschaftliche Strukturen erfüllt werden. Wie wichtig erachten Sie hier oder in anderen Bereichen den Einsatz von Genossenschaften? Sehen Sie noch zusätzliches Potential?

Die Tätigkeitsfelder von Genossenschaften sind breit gefächert und sehr wertvoll für die Anliegen und Bedürfnisse der Menschen im Land. Denken wir an die Genossenschaft „Mit Bäuerinnen lernen – wachsen – leben“. Sie ist mit dem Angebot Tagesmutter bzw. Tagesvater eine große Unterstützung für die Familien. Gleichzeitig fördert die Genossenschaft damit nachhaltig das Ansehen und des bäuerlichen Standes und unterstreicht die Wichtigkeit der Landwirtschaft für Südtirol. Es handelt sich hier um eine sehr erfolgreiche Stärkung des ländlichen Raums. Diese Sozialgenossenschaft hat bekanntlich auch den Betreuungsdienst „Gemeinsam Alltag leben“ initiiert. Senioren, Menschen mit Behinderung oder Menschen mit psychischen Erkrankungen werden am Hof betreut und können aktiv am Alltagsleben der Betreuerinnen und Betreuer teilnehmen. Ein solcher Dienst ist ein wunderbares Angebot gelebter Eingliederung und Integration. Diese Genossenschaft ist für mich ein Vorzeigebeispiel. Das Potential, das Genossenschaften haben, sehe ich durchaus auch als Chance für andere Bereiche, etwas für den Bereich Senioren, Kinder und Jugendliche. Hervorzuheben ist auch, dass Genossenschaften vielen Menschen Arbeit geben. So gibt z. B. diese Genossenschaft oftmals Frauen die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. 

Bürgergenossenschaften, Seniorengenossenschaften und solidarische Wohngemeinschaften sind einige beispielhafte konkrete Projekte, die von den Genossenschaftsverbänden im Land vorangetrieben werden. Wo sehen Sie in ihrem Zuständigkeitsbereich weitere zukünftige Aufgabenfelder, in denen Genossenschaften aktiv werden sollten?

Prinzipiell sehe ich im Genossenschaftswesen viel Potential. Dieses gilt es in Südtirol weiterzuentwickeln und den Bedürfnissen und Bedarf anzupassen. Ein Ziel ist, dies als Unternehmensform in allen Sozial- und Wirtschaftsbereichen attraktiv zu machen. Was meine Zuständigkeitsbereiche betrifft, sind Sozialgenossenschaften des Typs B besonders wichtig. Diese haben das Ziel die Arbeitseingliederung von sozial benachteiligten Personen mittels Ausübung von Landwirtschafts-, Industrie-, Handels- oder Dienstleistungstätigkeiten zu fördern. Sie sind ein wichtiges Instrument der Inklusion von vulnerablen Gruppen. Dabei ist unsere Aufgabe als Politik, die legislativen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Genossenschaften gut und erfolgreich arbeiten können. 

Wie auch in anderen Bereichen sind Frauen – abgesehen vom Sozialbereich – in den Gremien der Genossenschaften anteilsmäßig noch wenig vertreten. Inwieweit ist es für Sie ein besonderes Anliegen auch im Sinne der Chancengleichheit, dass Frauen noch mehr aktive Verantwortung als Mandatarinnen oder in der operativen Führung von Genossenschaften übernehmen?

Das ist mir ein persönlich sehr wichtiges Anliegen. Ich spreche hier aber nicht nur von Frauen in der operativen Führung in Genossenschaften, sondern generell von Frauen in Führungspositionen. Allein schon die verschiedenen Sichtweisen der Geschlechter bringt einen ungemeinen Mehrwert, egal ob in der Politik, in Unternehmen oder Genossenschaften. Es gibt schon viele Bestrebungen in diesem Thema, doch werden noch viele weitere Initiativen und Maßnahmen folgen müssen, denn das Ziel muss die absolute Chancengleichheit sein. Bevor wir diese nicht erreicht haben, werde auch ich mich persönlich dafür einsetzen.

Die Genossenschaftsverbände erhalten auch öffentliche Fördermittel für ihre Tätigkeit. Warum sind diese Mittel Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?

Genossenschaften, im speziellen Genossenschaften des Typs B, erfüllen wichtige Aufgaben in der Gesellschaft, sie sind für die Menschen da und bringen einen objektiven Mehrwert.  Allein deshalb sind Beiträge gerechtfertigt und auch notwendig. Wir werden dafür sorgen, dass das Land auch weiterhin ein verlässlicher Partner für die Genossenschaften in Südtirol ist und möchte Planungssicherheit in Bezug auf die Beitragsvergabe gewährleisten und garantieren.

Zusammenarbeit betont 

Erst kürzlich trafen sich Verbandsobmann Herbert Von Leon und Generaldirektor Robert Zampieri neben Gesundheitslandesrat Hubert Messner und dem neuen Landesrat für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Energie, Raumentwicklung und Sport, Peter Brunner, mit Rosmarie Pamer zu Kennenlerngesprächen im Raiffeisenhaus.Im Austausch der neuen Genossenschafts-Landesrätin wurden Themen wie die Reform im Dritten Sektor, die Entwicklungspotentiale für Genossenschaften, der Förderstau bei kleinen Genossenschaften bis hin zu den neuen Förderprogrammen „Horizon“ besprochen, die von der EU zur Stärkung von Berggebieten und den ländlichen Raum in Grenzregionen aufgelegt wurden. Auch wurde eine kontinuierliche Zusammenarbeit des Raiffeisenverbandes mit der neuen Genossenschafts-Landesrätin betont.