„Es ist absurd, wenn in Gremien nur Männer sitzen“

Valeria Dejaco ist seit Juni 2021 Mitglied im Arbeitskreis für Frauen in der Führung von Genossenschaften. Im Interview mit Raiffeisen Nachrichten erklärt die Geschäftsführerin der Genossenschaft Exlibris, warum Strukturen zu hinterfragen sind, die eine Teilhabe von Frauen erschweren.

Sie sind seit kurzem Mitglied im Arbeitskreis für Frauen in der Führung von Genossenschaften, warum?

Paulina Schwarz, die Vorsitzende, ist auf mich zugekommen, weil ich als Geschäftsführerin und Vizeobfrau der Genossenschaft Exlibris eine der wenigen Frauen bin, die eine Führungsrolle in einer Raiffeisen Genossenschaft hat. Ich habe mich entschieden mitzuarbeiten, weil mir die Förderung von Frauen ein Herzensanliegen ist. Ich finde es großartig, dass der Raiffeisenverband, den man historisch als eher konservative Organisation sehen könnte, ein solches Gremium hat. Auch freut es mich, mich mit anderen Frauen in Führungspositionen zu vernetzen, die viel Erfahrung haben und von denen ich lernen kann.

Was erwarten Sie von der Arbeit in diesem Gremium?

Ich sehe, dass konkrete Projektideen, Handlungsvorschläge für den Verband, die Raiffeisenkassen und die anderen Mitgliedsgenossenschaften entstehen und erwarte mir, dass wir in den nächsten drei Jahren sichtbare Ergebnisse liefern.

Gibt es Ideen, die Sie einbringen möchten, bzw. schon eingebracht haben?

Wir sind in der ersten Sitzung gebeten worden Inputs zu liefern, das habe ich gern genutzt, auch weil ich mich privat viel mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftige. Ein konkretes Thema, das mir wichtig war und das schon auf der Agenda stand, ist das geschlechtergerechte Formulieren. Zwei Sitzungen später war klar, dass wir das umsetzen. Das freut mich. Diesen Punkt werde ich bearbeiten.

Das Hauptanliegen des Arbeitskreises ist es mehr Frauen in Führungsgremien von Genossenschaften zu bringen. Wie kann das aus Ihrer Sicht gelingen?

Das ist eine komplexe Frage. Bei dem Thema sehe ich oft das Framing: Frauen trauen sich nicht allein, wie bringen wir sie dazu, sich in Gremien zu engagieren? Mir ist wichtig, dieses Framing umzudrehen. Denn dass sich Frauen nicht trauen, ist nur eine Seite der Medaille. Mindestens genauso wichtig ist es, die unsichtbaren Strukturen zu hinterfragen, die eine Teilhabe von Frauen erschweren. Das sind so banale Dinge wie: unmögliche Sitzungstermine am Abend für Frauen, die Familie haben, schlechte Erfahrungen, die Frauen in traditionell männlichen Settings gemacht haben oder Männernetzwerke, die sich aus den eigenen Reihen erneuern. Solange wir nicht an diesen systemischen Dingen arbeiten, nutzt es nichts zu sagen: Frauen, traut euch. Wir müssen das Umfeld schaffen, in dem sich Frauen aufgenommen fühlen. Die geschlechtergerechte Sprache ist eines von 100 kleinen Dingen, die dazu beitragen, dass ich mich als Frau in einem männlichen Kontext akzeptiert, gesehen und wertgeschätzt fühle.

Weitere Themen?

Ein weiteres Thema sind Frauennetzwerke, die müssen gefördert werden. Auch sogenannte Highpotentials-Programme oder Mentorings durch Frauen und Männer, die bereits in Führungspositionen sind, helfen, weibliche Nachwuchsführungskräfte aufzubauen. Oder man bietet Weiterbildungen für bestehende Führungskräfte an zum Thema: „Wie fördere ich gezielt Frauen“. Das ist alles keine Hexerei, es geht nur darum, Ressourcen und Zeit in diesem Bereich zu investieren.

Das andere sind Sensibilisierungsmaßnahmen, die über das geschlechtergerechte Formulieren hinausgehen, wie die Verwendung von Bildern (nicht immer nur Männer im Anzug), die Auswahl von Referentinnen und Diskussionsteilnehmerinnen (als Regel bei Diskussionsrunden immer mindestens 50 Prozent Frauen). Natürlich ist das im ersten Moment ein Mehraufwand, aber das ist es einfach wert, Pannels und Gremien diverser zu besetzen. Das Ergebnis bringt einen Mehrwert für alle - das ist hinlänglich bewiesen.

Wie bekannt ist das Thema Führung in Genossenschaften unter Frauen in Südtirol?

Generell ist es sicherlich so, dass wenn man Raiffeisen Genossenschaft hört, zuerst an Landwirtschaft oder Banken denkt. Bei diesen großen Genossenschaften liegt die Macht- und Geldkonzentration, daher muss man hier ansetzen. Auch wenn es vielleicht schwieriger ist, weil das traditionell männliche Bereiche sind. Aber inzwischen gibt es viele junge Frauen, die Wirtschaft studieren oder landwirtschaftlich tätig sind – vielleicht könnte man das Thema bei ihnen gezielter platzieren, auch schon an Schulen und Universitäten.

Hervorzuheben ist, dass das Genossenschaftswesen an sich die Message der Equality schon in sich trägt: alle haben gleich viel Stimmrechte und arbeiten gleichberechtigt füreinander. Daher ist es absurd, wenn gerade in genossenschaftlichen Gremien nur Männer sitzen. Insgesamt sind Genossenschaften nicht schlechter oder besser aufgestellt als andere Südtiroler Unternehmen, aber sie haben aufgrund ihrer Philosophie mehr Potential und auch mehr Verpflichtung. Sie müssten schon längst vorausgegangen sein.

Warum sollte sich eine Frau in einem Führungsgremium engagieren?

Es ist eine Möglichkeit mitzugestalten. Männer tun das selbstverständlich und treffen Entscheidungen, die dann auch uns betreffen. Um eine Gesellschaft oder eine Firma zu haben, die unsere Bedürfnisse mitdenkt, müssen wir in Entscheidungsgremien sitzen, mitreden und andere Frauen nachziehen. Ohne das wird es nicht gehen. Es wäre schön, wenn Männer das genauso sehen würden. Zudem brauchen wir Männer, die Platz machen für uns, mein Obmann hat mir beispielsweise gern die Geschäftsführung überlassen. Denn in Gremien gibt es eben nicht unendlich viele Plätze. Ich finde es übrigens super, dass im Arbeitskreis auch engagierte Männer sitzen, das ist wichtig.

Was halten Sie von der Quote?

Ich bin absolut dafür. In einer perfekten Welt würde man sie nicht brauchen. In der Welt, in der wir leben, brauchen wir sie unbedingt. Es ist ja nicht so, dass alle Männer allein wegen ihrer Kompetenz in Führungsgremien gelandet sind. Da gibt es einen treffenden Spruch: „Gleichstellung ist erst erreicht, wenn unfähige Frauen Führungspositionen erreichen.“

Welchen Stellenwert hat Frausein für Ihren Erfolg?

Schwierig zu sagen. Es läuft wohl darauf hinaus, dass ich als Frau einfach eine andere Lebenserfahrung habe als ein Mann in meinem Alter. Als junge Frau in einem Business-Kontext wird man oft genug nicht für voll genommen. Mir ist es mehrmals passiert, dass ich mit meinem Obmann zu einem Termin gegangen bin und der Mann am anderen Ende des Tisches hat nur ihn angesprochen, obwohl ich das Projekt leitete. Solche Erfahrungen hat jede Frau schon mal gemacht. Wahrscheinlich hat das auch mich und meine Arbeit geprägt.

Ihr Lebensmotto?

Generell bin ich der Ansicht, dass Empathie und andere Menschen wertschätzen wichtig ist. Im Beruf folge ich dem Grundsatz „Schiffe sind nicht dazu gemacht, im Hafen zu liegen, sondern auf hoher See zu sein.“ Kurz: Trau dir etwas zu, du kannst es. Ich bin davon überzeugt, dass uns Frauen mehr Räume und Machtpositionen zustehen, daher muss ich die auch einnehmen, auch wenn ich dafür über meinen Schatten springen muss.

Wie lautet ihr Wunsch an die Fee?

Ich wünsche mir, dass im Raiffeisenverband und in ganz Südtirol der Wert erkannt wird, den mehr Frauen in Führungspositionen bedeuten. Dass die klassischen Rollenbilder überdacht werden und dass wir und vor allem Männer erkennen, dass es zu ihrem Vorteil ist, wenn mehr Frauen Entscheiderinnen sind. Es würde unsere Gesellschaft nach vorne bringen und auch Männern mehr Raum, Freiheit und schöne Erlebnisse geben.