Kristin Pichler: „Ohne Herausforderung stagniert das Leben.“

Kristin Pichler ist Verwaltungsrätin der Raiffeisenkasse Meran. Was sie vor fast 20 Jahren dazu bewog die Arbeit im Gremium zu übernehmen, welchen Herausforderungen sie damals begegnete und was sie heute noch an ihrem Engagement begeistert, verrät sie im Interview.

Raiffeisen Nachrichten: Wie sind Sie dazu gekommen, als Verwaltungsrätin der Raiffeisenkasse Meran zu arbeiten?

Kristin Pichler: 2007 trat eine Frau aus dem Verwaltungsrat aus beruflichen Gründen zurück. Daraufhin hat mich der damalige Direktor Josefkarl Warasin gefragt, ob ich für das Amt zur Verfügung stehen würde. Da ich überzeugt bin, dass Herausforderungen dazu da sind, angenommen zu werden, habe ich zugesagt (lacht).

Am Anfang war es sehr ungewohnt und förmlich: In Direktion, Aufsichts- und Verwaltungsrat gab es keine einzige Frau, nur Männer – fast alle etwa 20 Jahre älter als ich. Bei den Sitzungen habe ich mich als jüngstes Mitglied zunächst zurückgehalten und gedacht: „Das werde ich schon lernen.“ Schwieriger empfand ich es, nach den Sitzungen beim gemeinsamen Essen ins Gespräch zu kommen. Worüber redet man mit lauter älteren Herren? Aber alle waren sehr freundlich und entgegenkommend.

Welche Voraussetzungen in beruflicher Hinsicht brachten Sie mit?

Ich war viele Jahre im Familienbetrieb für Buchhaltung, Bankwesen und Personal zuständig. Mit meiner Ausbildung an der Handelsoberschule Meran hatte ich eine gute Basis, dann braucht es natürlich Zeit, bis man sich ins Thema Banken und Kredite einarbeitet. Heute müssen neue Kandidaten verpflichtend eine Fit-&-Proper-Schulung absolvieren. Insgesamt hat sich vieles verändert: Vor 20 Jahren gab es weniger gesetzliche Vorschriften oder europäische Leitlinien. Es ging vordergründig darum, wer einen Kredit brauchte und welche „Berufliche Geschichte“ dahinterstand. Über die Jahre habe ich Kunden besser kennen gelernt und gelernt nicht nur Zahlen und Fakten zu betrachten, sondern auch den menschlichen Hintergrund mit in die Entscheidung einzubeziehen. – Den sollte man nie ganz außer Acht lassen.

Betrachten Frauen aus Ihrer Sicht diese menschlichen Aspekte stärker?

Ich finde es enorm wichtig verschiedene Sichtweisen einzubringen. In gemischten Gremien werden bessere Entscheidungen getroffen, davon bin ich überzeugt. Männer und Frauen, Jüngere und Ältere, Personen aus unterschiedlichen Branchen – all das trägt zu ausgewogeneren Entscheidungen bei.

Was ist Ihnen bei der Arbeit im Gremium wichtig?

Ich schätze es sehr, dass wir sehr kompetente Personen im Verwaltungs- und Aufsichtsrat haben. Fachwissen und Erfahrung sind für gute Entscheidungen unerlässlich. Ebenso wichtig ist die gute Zusammenarbeit auf menschlicher Ebene, gerade bei schwierigen Themen.

Entscheiden heißt auch Macht haben. Wie ist Ihr Verhältnis zu Macht?

Für mich hat dieses Amt wenig mit Macht zu tun, sondern mit Verantwortung. Ich sehe es als Aufgabe, die wir gemeinsam erfüllen. Ich bereite mich auf jede Sitzung gründlich vor – das sind manchmal auch zwei Stunden. Die Bankenaufsicht verlangt zu Recht, dass man als Gremiumsmitglied genau versteht, worum es geht.

Was begeistert Sie an dieser Arbeit?

Sicher nicht die unzähligen Vorschriften (lacht), aber sie gehören dazu. Spannend sind für mich die Projekte und die Menschen, die hinter Kreditanfragen stehen. Ich sehe, was Unternehmen und auch Privatpersonen leisten und auf sich nehmen, um an ihr Ziel zu kommen. Daraus nehme ich auch persönlich viel mit.

Da kommen die Werte einer Genossenschaftsbank zum Ausdruck?

Absolut. Die Entscheidungsfindung in einer Genossenschaftsbank unterscheidet sich von der in einer Aktiengesellschaft. Wenn Kunden zum Beispiel aus familiären Gründen in finanzielle Engpässe geraten, dann versuchen wir sie auch hier zu unterstützen – nicht nur in guten Zeiten. Das ist unser Auftrag und auch unsere Haltung.

Welches war Ihre bisher größte Herausforderung im Gremium?

Fachlich hatte ich wenig Schwierigkeiten, weil ich vieles aus meinem Beruf mitbrachte. Herausfordernder war anfangs die Frage: „Wie passe ich in dieses Gremium mit lauter älteren Herren?“ Meine Tochter war damals ein Jahr alt, das zweite Kind noch nicht da. Ich musste erst meinen Platz finden. Inzwischen ist das kein Thema mehr.

Wie gelang Ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Für mich war das Engagement für die Bank immer ein guter Ausgleich zum Familienalltag. Organisation war entscheidend. Meine Mutter war eine große Hilfe. Und mein Mann hatte immer Geduld und hat verstanden, wie wichtig mir das Engagement ist. Auch wenn ich wieder etwas Neues angefangen haben, hat er immer gesagt, du bist eh nicht zu bremsen, also mach nur. Wenn es im Leben Herausforderungen gibt, dann bleibt das Leben spannend. Mir gefällt das, daher brauche ich immer wieder was Neues. (lacht). Die Vereinbarkeit Familie und Beruf lief immer sehr gut. Nur einmal musste ich eine Sitzung verlassen, als meine Tochter im Krankenhaus lag.

Gab es in Ihrer Karriere Momente, in denen Sie sich als Frau benachteiligt fühlten?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich muss man selbst den Willen haben, sich weiterzuentwickeln und Neues zu lernen. Frauenförderung ist für mich kein Selbstzweck. Posten sollten neutral ausgeschrieben werden – Frauen wie Männer müssen sich durch Kompetenz qualifizieren.

Was ist Ihre Haltung zur Frauenquote in Gremien?

Ich sehe zwei Ebenen: jemanden nicht zuzulassen oder jemanden „hineinzuschieben“. Ich bin für neutrale Ausschreibungen. Aber wenn in einem Gremium Frauen unterrepräsentiert sind, dann bin ich dafür, gezielt eine Frau zu wählen – weil gemischte Teams sicher bessere Entscheidungen treffen. Wichtig ist: Wer ein Amt übernimmt, muss es auch ausfüllen können.

Wie hat sich Ihr Führungsstil entwickelt?

Die Sichtweise hat sich im Laufe der Jahre geändert. Von zu Hause was war ich einen autoritären Stil gewohnt. Doch mit einem autoritären Führungsstil kommt man nirgends hin, vor allem wenn man jung ist. Jung UND autoritär das geht gar nicht. Aber man muss ein paar Jahre arbeiten, um zu verstehen. Durch persönliche Erfahrung lernt man auch den Umgang mit anderen. Heute, mit fast 50 Jahren weiß ich, dass man auf Menschen zugehen, sie mitnehmen muss. Denn wenn jemand nicht will, bzw. die Auffassung nicht teilt, dann wird das nichts! Entweder du versetzt dich in seine Lage, sonst wirst du diese Person nicht zusammen mit ans Ziel bringen. Versuchen andere Perspektiven einzunehmen, um zu verstehen, ist wichtig.

Wie kann man mehr Frauen für Genossenschaftsgremien gewinnen?

Das geht leichter über klare Regeln in den Statuten. Bei den Raiffeisenkassen ist die Quote festgeschrieben – bei landwirtschaftlichen Genossenschaften müsste das auch so sein.

Suchen Sie gezielt Frauen für die Nachfolge im Gremium?

Ja schon, denn die Entscheidungsfindung ist mit Frauen besser ist und inzwischen gibt es genügend kompetente Frauen. Und ich glaube, wenn eine Frau für eine Gremium vorgeschlagen wird mitzuarbeiten, dann soll sie die Chance ergreifen, annehmen und ausprobieren. Auch wenn der Einstieg herausfordernd sein kann – man wächst hinein.

Wo finden Sie Ausgleich?

Am Wochenende gehe ich gerne Radfahren. Das ist meine Freude und mein Luxus. Dies ist ein Moment zum Abschalten und Nachdenken.

Und wie lautet Ihr Lebensmotto?

„Ohne Herausforderung stagniert das Leben.“ Diesen Spruch habe ich einmal aus einer Sportzeitung ausgeschnitten. Und eine positive Einstellung im Leben ist für mich entscheidend.

Vielen Dank für das Gespräch!