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„80 Prozent der Change-Prozesse scheitern“

Thomas Michael Haug weiß, worauf Führungskräfte achten sollten, wenn große Reformen, Umstrukturierung oder Reorganisation von Unternehmen anstehen. Er war kürzlich zu Gast in Bozen.

Auf der Tagung für GeschäftsführerInnen im Raiffeisen-Pavillon in Bozen hat Michael Haug einen Impulsvortrag zum Thema: “Wandel hinterlässt Spuren” – Führen in Zeiten der Veränderung." gehalten. Raiffeisen Nachrichten hat bei dieser Gelegenheit mit ihm gesprochen.

Woran liegt es, dass viele Change-Prozesse scheitern?

Mittlerweile scheitern über 80 Prozent der Change-Prozesse! Das entscheidende Problem dabei ist, dass wir die subjektive Komponente Mensch nicht sehen, da wir zu sehr im Bereich der objektiven Kennzahlen, Fakten und Daten verhaftet sind. Menschen, die mit ihren Ressourcen, Gefühlen und Emotionen den Change-Prozess gestalten müssen, haben wir nicht im Fokus. Das ist der entscheidende Grund, warum Change-Prozesse scheitern.

Wie kann das passieren?

Das hat ganz viel damit zu tun, wie ich auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehe. Und es hat etwas mit Wertschätzung zu tun. Man kann zeigen, - und das ist sehr gut untersucht - dass Führung, die nur auf Kennzahlen basiert und rein effizient bezogen arbeitet, sehr starke Stresssituationen erzeugt und die Mitarbeiter überfordert. Dies gilt vor allem in Change-Prozessen.

Wie kann man als Führungskraft solchen Stresssituationen entgegenwirken?

Indem ich ein offenes Ohr habe und Mitarbeiter ernst nehme. Wenn ich Zeit für sie aufbringen kann, um sie und die Anforderung, die sie zu bewältigen haben, zu verstehen, dann kann ich Stresssituationen stark herabsenken. Was viele nicht bedenken ist, dass Menschen in Stresssituationen Widerstände erzeugen. Wir messen so etwas in Rachestrategien, das heißt, es entstehen einfach Situationen, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Enttäuschung und Frustration nicht mehr angemessen bei der Arbeit sind und sich auch nicht mehr angemessen einbringen. Und damit erhöht sich das Risiko, dass Changeprozesse scheitern.

Wie sollen Change-Prozesse angegangen werden?

Das Wichtigste für mich ist, dass man sich die Frage der Kohärenz stellt, also die Frage: „Ist das, was hier getan wird, nachvollziehbar für den Mitarbeiter?“ Dies ist natürlich eine subjektive Komponente. Ich kann als Führungskraft nicht einfach sagen: „Ich habe das beschrieben und daher ist das nachvollziehbar.“ Ich muss schauen, was von dem nachvollziehbar und handhabbar ist und was nicht. Die entscheidende Frage aber ist, ob die Veränderung als emotional bedeutsam wahrgenommen wird.

Anders ausgedrückt: wenn kein sinnvolles Erleben im Change-Prozess möglich ist, bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass man die Change-Prozesse erfolgreich installieren kann sehr gering.

Gibt es Menschen, die mit Veränderungen besonders gut umgehen können?

Man hat lange angenommen, das sei ein Persönlichkeitsfaktor, aber die Forschung zeigt, das ist höchst situativ. Ob Menschen resilient sind, das heißt mit Krisensituationen gut umgehen können oder nicht, liegt nicht in den Gene, sondern hängt vom Umfeld ab. Das heißt, Resilienz wird von der Struktur im Unternehmen vorgegeben. Dabei geht es auch darum, wie gehen wir als Unternehmen miteinander um, wie gehen wir mit Problemstellungen der Mitarbeiter um und den Anforderungen, die sie haben.

Die Reaktion auf Veränderungen ist also situationsabhänig?

Menschen können heute sehr widerstandsfähig sein, der gleiche Mensch kann in anderen Situationen im nächsten Jahr gar nicht mehr widerstandsfähig sein. Also im Grunde geht’s um die Frage: „Steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt oder ist der Mensch nur Mittel?“

Steht der Mensch im Mittelpunkt haben Sie eine gute Chance Resilienzstrukturen zu schaffen, die auch helfen mit schweren Situationen umzugehen, weil er sich gewertschätzt fühlt. Wenn Sie den Mensch nur als Mittel sehen, das Beste aus ihm rauszuholen – es gibt diesen unglücklichen Satz „Wertschöpfung durch Wertschätzung“, dann haben Sie es instrumentalisiert, dann wird das Thema zynisch im Unternehmen, weil die Menschen nur benutzt werden und das spüren die Mitarbeiter und genau das erzeugt dann Widerstand bei Changeprozessen.

Vielen Dank für das Gespräch!