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Angelika Burtscher: „Frauen nach außen Sichtbarkeit geben.“

Angelika Burtscher studierte Kunst und Design in Bozen und nach einer Spezialisierung in Maastricht und Wien kehrte sie nach Bozen zurück, um gemeinsam mit Daniele Lupo den Kulturverein Lungomare zu gründen – später wurde daraus eine Genossenschaft. Im Interview erklärt die Obfrau, warum es wichtig ist, Frauen öffentlich Raum und Sichtbarkeit zu geben.

Raiffeisen Nachrichten: Wie ist die Genossenschaft Sozialunternehmen Lungomare entstanden?

Angelika Burtscher: 2003 haben Daniele Lupo und ich den Kulturverein Lungomare gegründet. Etwa 18 Jahre lang blieb es beim Verein, parallel dazu betrieben wir eine OHG – ein Büro für Kommunikationsdesign, visuelle Gestaltung, Produkt- und Ausstellungsgestaltung. Nach 18 Jahren haben wir uns dazu entschlossen, beide Strukturen zusammenzulegen, um ein neues Modell zu entwickeln.

Warum haben Sie sich für die Unternehmensform der Genossenschaft entschieden?
Für uns war es interessant, ein Unternehmensform zu experimentieren, in der wir sowohl öffentliche Finanzierungen als auch Auftragsarbeiten zusammenführen können. Außerdem schafft die Genossenschaft eine solidere Unternehmensstruktur, die es uns auch ermöglicht, europäische Fördermittel zu erhalten und Kooperationen einzugehen. Auch war es für uns interessant, die beiden bestehenden Strukturen zusammenzuführen. Dadurch ergaben sich im Arbeitsalltag neue Herausforderungen und Hierarchien . Bis es so weit war, haben wir viel diskutiert und reflektiert.

Stichwort Hierarchien: Warum haben Sie die Leitung der Genossenschaft übernommen?Es ist wichtig, Frauen öffentlich Sichtbarkeit zu geben und ein Vorbild für andere zu sein. Daniele Lupo und ich arbeiten seit über 20 Jahren zusammen – selbstverständlich haben wir diese Frage gemeinsam besprochen und entschieden. Was uns in der Zusammenarbeit immer interessiert hat, ist das Aushandeln von Rollen: Welche Rollen übernehmen Frauen? Welche Männer? Wie wichtig ist es, dass Frauen Führungspositionen innehaben?

War diese Entscheidung also ein Statement?
Genau. In erster Linie war es ein Statement. Innerhalb unseres Unternehmens empfinde ich mich nicht als Obfrau, da wir Entscheidungen gemeinsam treffen. Viel wichtiger ist es mir, Frauen nach außen hin Sichtbarkeit zu geben.

In landwirtschaftlichen oder Energiegenossenschaften sind Frauen in Führungspositionen eher selten. Wie ist das im Kulturbereich?
In der Kulturarbeit sind überwiegend Frauen tätig – vermutlich auch, weil dort oft nicht gut bezahlt wird. Führungspositionen, etwa die eines Museumsdirektors, sind jedoch weiterhin überwiegend mit Männern besetzt. Bei uns arbeiten ausschließlich Frauen – mit Ausnahme von Daniele, er ist der einzige Mann. Von unseren elf Mitgliedern sind tatsächlich nur zwei männlich. Kulturarbeit ist stark geprägt von ehrenamtlichem Engagement – ein Bereich, in dem Frauen häufig besonders aktiv sind. Im Designbereich ist es ähnlich: Viele Frauen übernehmen Verantwortung, arbeiten in großen Büros, aber nur wenige leiten ein Unternehmen.

Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Wir entwickeln Kultur- und Designprojekte, die gesellschaftliche Themen kritisch reflektieren. Ein Beispiel ist das Thema Demokratie: Nach den Gemeinderatswahlen haben wir beobachtet, dass nur wenige Menschen ihr Stimmrecht genutzt haben. Dann überlegen wir, wie wir darauf reagieren können – reflektieren lokal, aber oft auch in internationalen Zusammenhängen, etwa im Rahmen europäischer Projekte. Wir stellen uns Fragen: Welche Strategien entwickeln wir? Wie gehen wir mit bestimmten Themen um? Wie vernetzen wir uns? Dabei arbeiten wir häufig mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Besonders wichtig ist uns die aufmerksame Beobachtung unseres Umfelds – und die damit verbundenen Fragen: Entwickeln wir uns in die richtige Richtung? Brauchen wir neue Impulse? Was sollten wir anders gestalten?

Werbekampagnen für Produkte oder touristische Zwecke machen wir hingegen nicht – das interessiert uns nicht. Stattdessen arbeiten wir gerne im öffentlichen Raum. So haben wir beispielsweise vor einigen Jahren den Kornplatz mit einer temporären Holzkonstruktion neu gestaltet, um konsumfreie Zonen zu schaffen – und nicht etwa eine visuelle Identität für ein Café oder Restaurant zu entwickeln.

Wie messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit?
Derzeit sind wir an drei europäischen Projekten beteiligt – dort wird evaluiert und auch gemessen, etwa wie hoch die Arbeitsbelastung ist. Wir reflektieren dann: Wie können wir das anders gestalten? Welcher Workload ist tragbar? Welche Projekte wollen wir annehmen – und was schaffen wir überhaupt noch? Vor allem der jüngeren Generation ist es wichtig, nicht mehr zu viel zu arbeiten. Die Work-Life-Balance wird immer bedeutsamer.

Was sind die größten Herausforderungen Ihrer Arbeit?
Die Personalsuche. Die Lebenshaltungskosten in Bozen sind enorm hoch – das schreckt viele ab. Eine weitere Herausforderung ist die zunehmende Polarisierung: Radikale Positionen werden immer stärker. Wir sollten uns häufiger fragen: Wie können wir zueinanderfinden? Wie bleiben wir solidarisch? Wie arbeiten wir miteinander? Gerade diese Fragen sind eng mit dem genossenschaftlichen Gedanken verbunden.

Was begeistert Sie persönlich an Ihrer Arbeit?
Mich begeistert der Kontakt mit Menschen, das gemeinsame Arbeiten und das Finden von Lösungen in herausfordernden Situationen.

Können Sie ein Beispiel für eine solche schwierige Situation nennen?
Kürzlich erhielten wir eine spannende Anfrage für ein Projekt in Bologna. Hätten wir den Zuschlag bekommen, hätten wir in den nächsten zehn Jahren keine weiteren Aufträge mehr annehmen müssen. Das Problem war jedoch, dass man uns für den visuellen Vorschlag nicht bezahlen wollte – eine gängige, aber inakzeptable Praxis. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass kreative Arbeit bezahlt werden muss. Wir haben deshalb gesagt, dass wir nur gegen Honorar mitarbeiten würden. Unser Protest wurde nicht angenommen – und wir haben uns entschieden, auf das Projekt zu verzichten, obwohl wir damit finanziell sehr gut abgesichert gewesen wären.

Entscheidungen hängen oft mit Macht zusammen. Wie erleben Sie Macht in Ihrer Rolle als Obfrau?
Für mich bedeutet Macht vor allem, die Möglichkeit zu haben, Arbeits- und Lebensbedingungen sinnvoll zu gestalten – im Sinne der Gruppe. Natürlich übernehme ich als Obfrau Verantwortung. Doch Daniele und ich treffen alle Entscheidungen gemeinsam. Wenn man das Macht nennen will, dann ist es eine im positiven Sinne – die Macht, ein gutes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Hat es in Ihrer Laufbahn eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind?
Ja, leider oft im negativen Sinn. Man wird anders wahrgenommen, auf Äußerlichkeiten reduziert. Männer tun sich oft schwer, wenn Frauen neue Wege oder Richtungen vorschlagen.

War die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Sie ein Thema?
Ja, ein sehr großes. Ich bin Mutter und getrennt – das war herausfordernd. Vor allem die Schulzeiten in Südtirol sind problematisch: Es ist absurd, dass der Unterricht zu Mittag endet. Bei mir gibt es keine Familie oder Großeltern, die einspringen könnten. Man darf nicht voraussetzen, dass jede Familie diese Unterstützung hat. Mein Partner ist ein sehr aktiver Vater, dennoch bleibt vieles – wie Arzttermine oder Schulangelegenheiten – meist an den Frauen hängen.

Was halten Sie von Frauenförderung?
Ich halte das für sehr wichtig. Ich würde aber eher von Solidarität sprechen. Es geht darum, sich gegenseitig zu unterstützen, sich zu helfen und auch für andere Frauen die Stimme zu erheben.

Wo finden Sie Ausgleich zu Ihrer Arbeit?
Vor allem bei Freunden und in der Natur – zum Beispiel beim Schwimmen. Auch das Reisen ist für mich wichtig, um andere Orte, Menschen und Kulturen kennenzulernen. Zuletzt war ich in Bulgarien im Auftrag von Lungomare – im Rahmen eines Projekts zum Thema Grenzen zwischen Bulgarien, der Türkei und Griechenland. Wir haben dort ein Buch vorgestellt. Sofia ist eine sehr lebendige, offene Stadt – entsprechend ernüchtert bin ich nach Südtirol zurückgekehrt. Ich bin zwar dankbar, hier leben zu können, aber es gibt noch viel zu tun.

Wie würden Sie sich in drei Begriffen beschreiben?
Ich würde mich als unruhig – im positiven Sinne –, kreativ und tiefgründig beschreiben.

Folgen Sie einem bestimmten Lebensmotto?
Spontan fällt mir das Motto alzare la voce ein – es war auch einmal Teil einer Lungomare-Kampagne.

Welche Botschaft möchten Sie Frauen mitgeben, die dieses Interview lesen?
Ich finde, man sollte sich nie verstecken. Frauen sollten sich trauen und sich nicht einschränken lassen. Der eigene Raum darf nie eng werden – er soll weit bleiben und erweitert werden. Jede Frau sollte ihren Platz selbstbewusst einnehmen.

Vielen Dank für das Gespräch!