Bürgergenossenschaften: Gemeinwohl aufwerten

Ende Jänner wurde im Regionalrat Trentino Südtirol der Gesetzentwurf zu den Bürgergenossenschaften verabschiedet. Damit eröffnen sich neue und vielfältige Möglichkeiten der lokalen Entwicklung und der aktiven Bürgerbeteiligung.

Der Gesetzentwurf unter dem Titel „Bestimmungen in Sachen Bürgergenossenschaften“ wurde am 26. Jänner im Regionalrat mit 46 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen genehmigt.

„Die Idee von Bürgergenossenschaften ist entstanden, weil in den unterschiedlichen Lebensbereichen, ob das nun die Landwirtschaft oder der soziale Bereich ist, besondere Bedürfnisse und Anforderungen bestehen“, sagt Regionalassessor Manfred Vallazza, der den Gesetzentwurf eingebracht hat.

Dem vorausgegangen waren mehrjährige Bemühungen gemeinsam mit den Ämtern auf Landes- und Regionalebene und den Genossenschaftsverbänden. So hat sich besonders auch der Raiffeisenverband für ein regionales Gesetz der Bürgergenossenschaften stark gemacht. „Bürgergenossenschaften können in einer vielfältigen Variante tätig werden und bieten neue Möglichkeiten. Die starke Einbindung der örtlichen Bevölkerung liegt dabei in den Genen dieser Genossenschaftsform und genau das ist auch ihre Stärke“, sagt Christian Tanner, Vizedirektor des Raiffeisenverband.

Form der Bürgerbeteiligung

Bürgergenossenschaften sind eine Form der Bürgerbeteiligung zum Wohle der lokalen Gemeinschaft und des gesamten Bezugsgebietes weit über die Anzahl der Mitglieder hinaus. Sie bieten Güter und Dienstleistungen im Interesse der Allgemeinheit eines bestimmten Gebiets und der Gemeinschaft vor Ort. „Die Aufwertung des Gemeinwohls und die Einbeziehung der Bevölkerung vor Ort sind zentrale Elemente der Bürgergenossenschaft, was zeigt, dass der genossenschaftliche Gedanke noch breiter angesetzt wird“, sagt Herbert Von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes. Auch müssen Bürgergenossenschaften die Bezeichnung „Bürgergenossenschaft“ tragen, damit auch sichtbar wird, dass es sich um eine Einrichtung handelt, die das Gemeinwohl im Auge hat.

Bürgergenossenschaften können – um einige Beispiele zu nennen – der Abwanderung aus den ländlichen Gebieten entgegenwirken, vernachlässigte Stadtteile beleben, leistbares Wohnen vorantreiben, Wegenetze erhalten, die Nahversorgung sichern, die landwirtschaftliche Direktvermarktung organisieren oder Bereiche aktivieren, aus denen sich die öffentliche Hand zurückgezogen hat. Eine Bürgergenossenschaft kann gleichzeitig verschiedene Tätigkeiten ausüben und somit über eine Form der Umwegrentabilität auch solche Dienste übernehmen, die sich allein nicht rechnen.

Neue Möglichkeiten der Vernetzung

Bürgergenossenschaften bieten neue Möglichkeiten der Vernetzung beispielsweise zwischen Tourismus und Landwirtschaft oder zwischen der Energie-, Strom- und der Nahversorgung. Gerade die Nahversorgung ist ein Bereich, der sich in vielen Gebieten für sich allein gestellt nicht mehr rechnet. Durch die Bürgergenossenschaften, die auch dem Charakter einer Sozialgenossenschaft entsprechen, eröffnen sich auch neue Chancen in der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung, wenn es darum geht, Initiativen abzustimmen und Aufträge ohne Ausschreibungen zu vergeben. „Dabei geht es darum, Wertschöpfung im eigenen Tätigkeitsgebiet zu generieren und dort zu behalten“, erklärt Christian Tanner.

Die Nützlichkeit von Bürgergenossenschaften sieht Regionalassessor Vallazza auch in der Landwirtschaft und vor allem in der Berglandwirtschaft. „Viele Höfe in Südtirol werden nur noch von einer oder wenigen, meist älteren Personen bewohnt und betrieben. Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung und Betreuung der Höfe fehlen“, so Vallazza. Mittels Bürgergenossenschaften könne dem in einigen Bereichen entgegengewirkt werden. Personal oder Güter könnten durch diese Form der Genossenschaft einfach und unbürokratisch vermittelt oder ausgetauscht werden, meint Vallazza.

Bürgergenossenschaft eignen sich für viele Bereiche. „Diese Genossenschaftsform dient gezielt dazu, die regionale Entwicklung zu fördern“, sagt Verbandsobmann Herbert Von Leon. Während auf nationaler Ebene eine gesetzliche Initiative zu den Bürgergenossenschaften erst im Gange ist, hat die Region Trentino-Südtirol in ihrer autonomen Zuständigkeit mit dem eigenen Gesetz den rechtlichen Rahmen geschaffen, um Bürgergenossenschaften in der gesamten Region, und nicht nur punktuell, zu ermöglichen. „Mit der Bürgergenossenschaft können Bürger, Gemeinden und Genossenschaften vor Ort schneller auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren“, sagt Regionalassessor Vallazza.

In den verschiedenen Landesteilen gibt es konkrete Bestrebungen, Bürgergenossenschaften in die Wege zu leiten. Der Raiffeisenverband steht entsprechenden Initiativen beratend und unterstützend zur Seite.

„Alle Bürger können mitmachen“

Regionalassessor Manfred Vallazza, der den Gesetzentwurf zu den Bürgergenossenschaften im Regionalrat eingebracht hat, unterstreicht die Bedeutung dieser neuen Form der Bürgerbeteiligung für Südtirol.

Herr Vallazza, welche Bedeutung hat das neue Gesetz der Bürgergenossenschaften?

Manfred Vallazza: Die Form der Genossenschaft ist ein großes Erfolgsmodell für den Wohlstand auf lokaler Ebene. Gleichzeitig hat sich herausgestellt, dass es auch neue Formen braucht im Sinne einer Erweiterung. Mit der Bürgergenossenschaft können wir alle Sektoren in ein Boot holen und alle Bürger können mitmachen!

Welche Erwartungen knüpfen Sie an das neue Gesetz?

Manfred Vallazza: Ich hoffe, dass erkannt wird, welche Möglichkeiten in diesem Gesetz stecken. Ob für die Peripherie in den kleinen Gemeinden, für die Peripherie und Randzonen der Städte und auch für die Berglandwirtschaft. Es ist wichtig, dass Bürger und Körperschaften diese Chance ergreifen!

Welches Potential sehen Sie für die nächsten Jahre?

Manfred Vallazza: Die Umsetzung war von allen Beteiligten von der gemeinsamen Überzeugung getragen, dass die Bürgergenossenschaften dem Gemeinwohl dienen. Das Interesse für die Gründung von Bürgergenossenschaften ist schon da! Es wäre schön, wenn zum Beispiel in jeder Gemeinde so etwas entstehen könnte. Das wären schon 116 Genossenschaften, die einen Mehrwert für das Gebiet und die Bevölkerung bilden.