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Klemens Skibicki: "Transformation gelingt nur gemeinsam."

Am 26. Oktober (Vormittag) organisiert der Fachbereich Aus- und Weiterbildung des Raiffeisenverbandes Südtirol einen Impulsvortrag mit Klemens Skibicki in Brixen. Für Raiffeisen Nachrichten beschreibt der Experte für digitale Transformation bereits vorab die drei größten Herausforderungen und Chancen des digitalen Strukturwandels.

Raiffeisen Nachrichten: Welches sind aus Ihrer Sicht die drei größten Herausforderungen und Chancen des digitalen Strukturwandels?

Klemens Skibicki: Die größten Herausforderungen der Transformation - verstanden als der aktiv gemanagten Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen des digital vernetzten Zeitalters - bestehen in zu wenig einheitlichem Verständnis für den Charakter des Strukturwandels. Zu viele denken vor allem an Technologien und vernachlässigen die Veränderungen der ökonomischen und soziologischen Logik, die durch die Verbreitung digitaler Technologien ermöglicht wird. Es reicht nicht, wenn einzelne Menschen und Funktionen in einem Unternehmen dies können. Das einheitliches Verständnis muss in der gesamten Organisation bestehen. Denn Transformation gelingt nur gemeinsam.

Die Transformation „macht“ nicht ein Chief Digital Officer oder die IT-Abteilung für den Rest. Wer das glaubt, der hat die größte Herausforderung nicht begriffen. Wie will man denn Ziele und Strategien entwickeln, wenn man untereinander über vollkommen andere Rahmenbedingungen spricht? Wir beginnen deswegen jedes Change-Projekt in Unternehmen mit einem Workshop zur Bildung eines einheitlichen Verständnisses. Und wundern uns immer wieder, wie viele Unternehmen glauben, diesen Schritt nicht zu brauchen, da sie lieber „schnell ins Doing“ kommen wollen. Dabei verlieren sie damit Zeit und müssen hinterher sehr vieles wieder einstampfen.

Erst nach diesem Begreifen stehen andere, wichtige Herausforderungen wie zum Beispiel fehlende interne Kompetenzen und Ressourcen für notwendige Anpassungen auf der Agenda. 

Und: Auch bei Unternehmen, die schon einen weiten Weg bei der Digitalen Transformation gegangen sind, eröffnen die neuen Prozesse und Strukturen neue Sicherheitsrisiken, die meist nicht mitbedacht wurden. Digitale Angriffe sind heute an der Tagesordnung und erfordern entsprechende Sicherheitsstrukturen in sowohl der Technologie als auch die übergreifende Awareness aller Mitarbeiter. Erneut gilt: Es muss ein übergreifendes Verständnis dafür vorhanden sein, wie wichtig die Anpassung an die Herausforderungen in der IT- und Informationssicherheit ist.

Dennoch: Es gibt jedoch mindestens genauso viele Chancen wie Herausforderungen. Die vollkommen neue Marktnähe zu potenziellen Kunden und Mitarbeitern ist für uns die größte Chance. Im Kern bietet das digital vernetzte Zeitalter die Möglichkeit Nähe und Verständnis zur anderen Marktseite neu zu definieren und daher schneller bessere Entscheidungen in den Augen der anderen Marktseite treffen zu können. Wenn man so will, handelt es sich bei der Digitalisierung auch um eine Revolution in der Marktforschung. Ebenso geht es darum neue Rollen, Erlöskomponenten und vernetzte Prozesse zu testen, ob diese nicht mehr Wettbewerbsfähigkeit generieren als die hintereinander gelagerten Prozesse der Wertschöpfungsketten des Industriezeitalters, mit seinen internen Kommunikations- und Machthierarchien und der meist einseitigen Push-Kommunikation nach außen. Um diese jedoch erschließen zu können, muss man eben mit diesem besagten Verständnis und Unterschied der Netzwerkökonomie zum Industriezeitalter beginnen.

Inwiefern hat die Coronapandemie den von Ihnen beschriebenen Strukturwandel beeinflusst?

Klemens Skibicki: Die Corona-Pandemie hatte für Teilaspekte des digitalen Wandels eine erhebliche Beschleunigungswirkung: Das dezentral aber digital vernetzte Arbeiten und die auch dabei eingesetzte Kommunikation über Video-Tools wurde innerhalb weniger Wochen ein etablierter und anerkannter Standard. Dies geschah viel schneller als es sonst gedauert hätte, da fast alle Unternehmen keine andere Wahl hatten. Wenn man muss, zählen eben keine vielleicht sonst vorgezogenen Alternativen und bekannte Abwehrmechanismen – der feine Unterschied zwischen Einwand und Vorwand.

Das „jeder muss“ hat das „haben wir aber noch nie so gemacht“ überwunden, da es keine Alternative gab. Jedoch dürfen Unternehmen bei Home-Office und Video-Tools nicht stehenbleiben und sich dafür feiern. Sie müssen weiter die neuen Rahmenbedingungen des digital vernetzen Zeitalter erfassen und sich daran anpassen. Die Unternehmensprozesse sind längst noch nicht optimal. Zu viele Technologien beschränken sich allein auf mobiles Arbeiten. Es mangelt an einem Gesamtkonzept, das bestehende Systeme besser verknüpft und optimiert. Produktivität und Zusammenarbeit im Unternehmen und oftmals auch die IT- und Informationssicherheit insgesamt leiden darunter.

Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt des digitalen Strukturwandels - was passiert mit Menschen oder Unternehmen, die nicht „digital“ unterwegs sind?

Klemens Skibicki: Unternehmen und Menschen, die sich nicht anpassen, werden dasselbe Schicksal wie in jedem Strukturwandel zuvor erleiden: Sie werden irgendwann nicht mehr wettbewerbsfähig sein, wenn sie nicht die besten Möglichkeiten, um die andere Marktseite zu verstehen, einsetzen. Wir betonen aber deswegen so gerne die Wichtigkeit des Menschen, weil wir viel zu oft erleben, dass Menschen Angst haben, durch Technologie ersetzt zu werden. Für einige Berufe wird dies auch so sein, für die Mehrheit der verbliebenen und vor allem neu entstehenden Tätigkeiten werden uns digitale Technologien jedoch vor allem „lästige“ Arbeiten abnehmen und so vereinfachen, dass wir mehr Zeit für das haben für das, was Algorithmen, künstliche Intelligenz und Maschinen eben noch sehr lange nicht vermögen. Und das ist genau das Menschliche, das Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, das Miteinander zu verstehen, ohne dass es auch bei aller Digitalisierung entscheidend für Zusammenarbeiten jeglicher Art bleiben wird. Sie „machen“ nicht digitale Kanäle, sondern da gibt es Menschen, die ihnen wichtig sind und zu denen sie über digitale Kanäle auf neue Art und Weise Nähe herstellen können.

In welche Richtung werden sich die digital vernetzen Arbeitswelten weiterentwickeln?

Klemens Skibicki: Wir stehen noch ganz am Anfang der Entwicklung und Unternehmen werden ihre neuen Formen und das Ausmaß ausprobieren. Es wird da wenig Patentlösungen geben, die für alle passen. Was wir aber jetzt schon wissen ist, dass jene Unternehmen Produktivitätsvorteile erwirtschaften, die es schaffen bei aller Dezentralität gezielt soziale Zusammenhalte in das vielleicht sonst sehr dezentrale Arbeiten einzubauen. Wir sind und bleiben soziale Wesen und isolierte, vereinsamte Menschen werden zumindest in der Mehrheit nicht sonderlich produktiv sein können. Also individuelle Lösungen, die zum jeweiligen Unternehmen beziehungsweise den Menschen, die dieses ausmachen, passen, werden gefragt sein. Aber eins steht fest: Viele Menschen haben das dezentrale Arbeiten kennengelernt und schätzen es. Das wird nicht mehr vergehen, und das Anbieten neuer Möglichkeiten ist längst zum Wettbewerbsfaktor geworden, der bleiben wird.

Zu oft erleben wir Unternehmen, die noch glauben oder hoffen, dass alles wieder wird wie vor der Pandemie. Stattdessen sollten sie erkennen, dass jetzt auch Menschen für Zusammenarbeit geworben werden können, die sonst nie in Frage gekommen wären, weil sie nicht zum Standort des Unternehmens ziehen möchten oder können. Neue Strukturen eröffnen jedoch auch neue Einfallstore für Cyberattacken jeder Art, so dass auch hier alle Menschen sensibilisiert und einbezogen werden müssen – eines der größten Risiken befindet sich meist vor dem Rechner.

Auch deshalb werden maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz immer wichtiger. Menschen konzentrieren sich künftig auf die Wert schöpfenden Tätigkeiten, die Maschine kümmert sich im Hintergrund um die Standards, unterstützt „ihre Menschen“ und warnt bei Fehlern. Anders lässt sich die Masse der mit der Technologie einhergehenden Prozessveränderungen gar nicht mehr gewährleisten. Unternehmen, die beispielsweise glauben, digital vernetzte Arbeitswelten im Alleingang sicher gestalten zu können, werden scheitern. Hier müssen Mensch und Maschine künftig eng kooperieren.