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Eine ungeheuer starke Organisation

Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V., war Gast auf der diesjährigen Vollversammlung des Raiffeisenverbandes. Im Interview spricht er über die Zukunft des Genossenschaftswesens.

Wie zukunftsfähig ist die genossenschaftliche Idee?

Die genossenschaftliche Idee ist eine Idee der Zukunft. Unser Ziel muss es sein, die genossenschaftlichen Werte, die uns in den letzten 160 Jahren erfolgreich gemacht haben, für unsere Kunden und Mitglieder wieder erlebbar zu machen. Dies ist das Wertegerüst für den Erfolg in der Zukunft. 

Wie geht es dem Genossenschaftswesen in Europa?

Wir sind eine ungeheuer starke Organisation, die Zahlen sprechen für sich: In Europa gibt es 123 Mio. Mitglieder, 160.000 genossenschaftliche Unternehmen und über 5 Mio. Arbeitsplätze in einer Vielzahl von Branchen. Das ist ein solider Rückhalt, den wir in der Gesellschaft und den Wirtschaftsstrukturen der einzelnen Länder haben.

Gibt es Unterschiede in den einzelnen Ländern?

Es ergibt sich ein differenziertes Bild, je nachdem ob man die Genossenschaften nach Verteilung oder Anzahl der Mitglieder betrachtet. In Italien und in der Türkei gibt es die meisten Genossenschaften. Bezogen auf die Mitgliederanzahl haben hingegen Frankreich, die Niederlanden und Deutschland die Nase vorne. In diesen Ländern gibt es starke genossenschaftliche Bankengruppen mit 40 Prozent der Mitglieder.

Wie geht es den Genossenschaften in Deutschland?

Bis zum Jahreswechsel hatten wir 972 Kreditgenossenschaften und in Summe 5.664 Genossenschaften über alle Branchen hinweg. Mit Blick auf die Kreditgenossenschaften sage ich bewusst "hatten", denn die widrigen Rahmenbedingungen für das Bankgeschäft sorgen dafür, dass es im letzten Jahr knapp 50 Fusionen gab. In diesem Jahr wird es voraussichtlich zwischen 60 und 80 Fusionen geben.

Woran liegt das genau?

Der beschleunigte Trend zu Fusionen hat nichts mit dem wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg dieser Organisationen zu tun, sondern hängt tatsächlich mit den Rahmenbedingungen zusammen. Interessant ist, dass wir in Deutschland mittlerweile 18,44 Mio. Mitglieder bei Kreditgenossenschaften zu verzeichnen haben. Das ist ein ausgesprochen positives Bild. Daneben gibt es 2.100 Raiffeisen Waren-, Dienstleistungs- und Agrargenossenschaften in unserer Organisation, knapp 1.400 gewerbliche Genossenschaften und eine Vielzahl von Energiegenossenschaften, die sich in den letzten Jahren extrem positiv entwickelt haben.

Wie schaut es bei den Kreditgenossenschaften aus?

Wir haben es geschafft seit 2008/09 jedes Jahr etwa vier bis fünf Prozent des Kreditvolumens draufzulegen und im Volumen zu wachsen. Dies liegt an der guten regionalen Verankerung der wirtschaftlichen Strukturen in den Regionen und an der Schwäche der Privat- und Großbanken in Deutschland, die nach der Krise kräftig durchatmen mussten. In diese Lücke sind wir hineingegrätscht und profitieren natürlich von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Das Problem der Non-performing-loans wie es insbesondere in Italien ein Thema ist, kennen wir so nicht.

Welches sind die größten Herausforderungen für Genossenschaftsbanken?

Zuallererst die Geldpolitik der europäischen Zentralbank. Herr Draghi versucht der Politik Zeit zu geben um notwendige Veränderungen im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften, der Reform der Wirtschafts- und Sozialstrukturen in den einzelnen Ländern zu schaffen und mit aller Kraft die Eurozone zusammenzuhalten. Wir werden uns alle anstrengen müssen, um in dieser widrigen Situation für Banken, Sparkassen, Versicherungen zu überleben. Diese Geldpolitik wirkt sich zerstörerisch auf Institutionen wie Pensionsfonds, Versicherungen, Banken und Sparkassen aus.

Auch das Thema Regulatorik sehe ich kritisch. Die regulatorische Rahmenbedingungen in Europa werden typischerweise für große Unternehmen und Konzerne formuliert, und wenn Sie - das gilt insbesondere für das Bankgeschäft - die Vielfalt der regulatorischen Rahmenbedingungen sehen, die selbst in kleinen und Kleinstbanken abgedeckt werden müssen, dann mag man sich schon fragen, ob dahinter ein Plan der Politik liegt, mittelständische Strukturen zu zerstören und gegebenenfalls daraus dann große Strukturen zu formen. Das glaube ich zwar nicht, aber wir müssen aufpassen, dass undifferenzierte Regulierung mittelständische Unternehmen nicht so belastet, dass sie nicht mehr weitermachen können.

Derzeit arbeiten wir mit zwei Universitäten zusammen um heraus zu finden, wie sich diese regulatorischen Rahmenbedingungen auf die Genossenschaftsbanken, die in einer kleinteiligen dezentralen Struktur aufgestellt sind, auswirken. Mit den Ergebnissen möchten wir unsere Argumentation bezüglich der Politik und der Behörden in Sachen Regulatorik etwas stärker untermauern.

Gibt es schon Ergebnisse?

Es war natürlich keine Überraschung zu sehen, dass die Last der Regulatorik für kleine Institute wesentlich größer ist. Und wir dürfen auch nicht verkennen, dass die Eigenkapital- und Liquiditätsregeln, die in Brüssel von der Kommission und den Baseler Ausschuss kommen, am Ende auch die Kreditvergabe der Kreditgenossenschaften beeinflussen. Wenn ein Mittelstandskredit, ein Blankokredit, ein Betriebsmittelkredit sehr stark mit Eigenkapital zu unterlegen ist, dann überlegt sich ein Bankleiter bei knappen Ressourcen, wo er seine Risikoaktiva positioniert. Auch da muss die Politik kritisch hinschauen, dass man den Mittelstandskredit nicht so belastet, dass er für Banken und Sparkassen nicht mehr attraktiv ist. Dieses Thema beschäftigt uns tatsächlich intensiv.

Was werden Sie dagegen unternehmen?

Vielleicht haben Sie das Wort small-banking-box schon mal gehört, dabei geht es darum, regulatorische Erleichterungen für Banken und Sparkassen, unterhalb einer gewissen Komplexitätsgrenze - die natürlich sehr umstritten ist - zu erreichen. In Deutschland ist es uns mittlerweile gelungen, alle Partner in EIN Boot zu holen (Bankenaufsicht, Politik, Finanzministerium, Sparkassen, Privatbanken und Genossenschaftsbanken), um gemeinsam in Brüssel unsere Forderungen durchzuholen. Derzeit ist die Rede von 1,5 Mrd. Euro Bilanzsumme.

Wie sieht es mit dem Thema Digitalisierung aus?

Wenn wir als Bankengruppe Digitalisierung richtig verstehen, dann ist das eine Riesenchance Kundennähe und Mitgliederorientierung noch überzeugender zu leben und wir haben dieses Thema, mal abseits aller Fintec-Themen aufgegriffen. Selbstverständlich wirkt Digitalisierung zunächst kostentreibend, das ist Investition in Infrastruktur, in neue IT-Systeme, in Ausbildung von Mitarbeitern. Aber letztendlich muss es uns auch gelingen, unser Geschäftsmodell evolutionär umzubauen.

Was heißt das konkret?

Wir müssen besonders das Privatkundengeschäft so umbauen, dass wir mehr Geschäft machen, unsere Kunden besser erreichen und auch auf der Kostenseite ein Stück weit zurückbauen können. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Digitalisierung auch auf die Anzahl der Mitarbeiter, der Filialen und Bankstellen auswirkt.

Unsere Zukunft liegt ganz klar im digital-persönlichen Banking. Wir haben das Ganze als Omnikanal-Konzept verstanden, bei dem der Kunde entscheidet, über welchen Zugangsweg er auf seine Genossenschaftsbank zugeht, nicht mehr der Berater oder der Bankleiter. Das bedeutet aber auch, dass unsere Infrastrukturen so miteinander sprechen müssen, dass ein Kunde, der vorher im Internet beispielsweise eine Altersversorgungslösung durchgerechnet hat und dann in die Filiale der Genossenschaftsbank geht, nicht alles aufs Neue erklären muss, sondern der Berater weiß, wo der Kunde aufgehört hat, um dann gemeinsam weiterzumachen und die Beratung integrativ fortzusetzen. Das wird die Zukunft des Privatkundengeschäftes sein.

Wie bleibt die Genossenschaftsidee weiterhin attraktiv?

Entscheidend für die Zukunft wird sein - wie erleben uns unsere Mitglieder und Kunden. Wie wird diese Genossenschaft erlebbar, welchen Nutzen bringt sie für die Menschen und für die Gemeinschaft vor Ort. Wenn das von den beteiligten Menschen auf privatwirtschaftlicher Basis immer wieder positiv reflektiert wird, dann ist der Sinn der Genossenschaft erlebbar, dann wird auch die Genossenschaftsorganisation in ihrer Vielfalt immer auch eine großartige Zukunft haben.