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Martin von Malfèr: „Covid-19 als glimpflicher Warnschuss zu werten“

Der Volkswirt und Finanzexperte der Raiffeisen Landesbank Südtirol, Martin von Malfèr, spricht im Interview über die derzeitige Lage auf den Finanzmärkten und erklärt was Grüne Schwäne damit zu tun haben.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation auf den Finanzmärkten ein?

Die Finanzmärkte haben in den letzten 20 Jahren einen gewaltigen Wandel erlebt und sich von der realen Wirtschaft immer weiter entfernt. Die Zahl der agierenden Akteure hat stetig abgenommen. Damit entscheiden immer weniger Menschen über die Geschicke der Finanzmärkte. Gleichzeitig hat die Bedeutung der Finanzmärkte für den Wohlstand der Menschen enorm zugenommen, aufgrund der Pensions- und Staatsfonds aber auch Hedgefonds, die für internationale Bankinstitute arbeiten.

Hinzu kommt, dass Währungs- und Finanzmarkthüter weltweit und vor allem in Europa einen Maßnahmenkatalog entwickelt haben, um größeren Finanzmarktkrisen rechtzeitig zu begegnen. Die Folge ist, dass Märkte heute beruhigt werden, sobald sich Risiken für eine Banken-, Finanzmarkt- oder Staatsschuldenkrise abzeichnen.

Was hat sich, im Vergleich zur Zeit vor der Coronakrise, verändert?

Die von vielen Politikern als Schwarzer Schwan, also als unvorhersehbares, seltenes, aber gravierendes Ereignis bezeichnete Covid-19-Krise hat die weltweite Realwirtschaft in die Knie gezwungen. Heute ist eine Volkswirtschaft froh, wenn der Wirtschaftseinbruch 2020 nur 5 Prozent ausmacht. Viele Länder erlebten im 2. Quartal 2020 einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um 10 Prozent und mehr. Doch Schwarze Schwäne-Ereignisse sind gar nicht so selten, wie manche dies glauben machen wollen. Sie werden künftig immer häufiger auftreten, aufgrund unseres Wirtschaftssystems und unseres kurzfristigen Gewinnstrebens, das den Klima- und demographischen Wandel bis zur Überalterung und Schaffung sozialer Ungleichgewichte fördert.

Auf EU-Ebene gibt es inzwischen einen neuen Begriff. Der "Grüne Schwan“ steht für gravierende Ereignisse, die sicher eintreten werden, nur weiß man nicht wann. Sich darauf vorzubereiten wird künftig immer teurer und notwendiger. Da aber die Ursachen der Ereignisse, wie extreme Klimaphänomene, Schädlingsvermehrung oder Seuchen mit größter Sicherheit feststehen, haben wir auch die Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Sicher ist: viele Grüne Schwäne haben mit unserem Lebenswandel zu tun. Je weiter wir in unberührte Lebensräume, wie Urwald oder Eiswüsten vordringen, desto mehr tragen wir dazu bei, dass der Permafrostboden auftaut. Je mehr wir Waren und Personen weltweit verschiffen, desto mehr Schädlinge und Seuchen werden verschleppt. In dieser Hinsicht ist Covid-19 als glimpflicher Warnschuss zu werten, der uns alle zum Umdenken bewegen soll. Die Zeit des Lockdowns, so schlimm sie auch für den Einzelnen gewesen sein mag, sehe ich aus reformpolitischen Überlegungen sogar hilfreich.

Inwiefern?

Covid-19 hat uns gezeigt, dass wir die Probleme der Menschheit nur gemeinsam und im Rahmen der Wissenschaft lösen können. 

Was wird die Zukunft bringen?

Wenn wir in die Zukunft blicken, dann sind es die subtileren Dinge, die unser Wirtschaftsgeschehen maßgeblich beeinflussen werden. Covid-19 hat vielen Betrieben vorgeführt, dass auch Smartworking und Telearbeit praktikable Arbeitsmodelle darstellen. Dies wird Auswirkungen auf die Nachfrage an Büroräumen haben. Online-Treffen sind hoffähig geworden. Damit wird aber der Kongress- und Schulungstourismus abnehmen. Produktionsfirmen haben festgestellt, dass Kontinent-übergreifende Just In Time-Produktionsmethoden störungsanfällig sind. Eine Rückführung von Zulieferbetrieben wird daher vielfach angedacht.

Die Krise hat auch die Angst vor elektronische Zahlungsmittel genommen. Touchless- und elektronisch Zahlungssysteme sind heute beliebter denn je. Eine Initiative auf EU-Ebene, die Verwendung von Bargeld einzuschränken oder ganz zu verbieten, findet nun wieder Auftrieb.

Covid-19 hat auch gesellschaftspolitisch ein Umdenken ausgelöst und soziale Netzwerke haben damit begonnen, Falschnachrichten zu überwachen und zu kennzeichnen. Ich sehe auch, dass Gesetzgeber die Bekämpfung der internationalen Steuervermeidung durch Großunternehmen nun ernsthaft angehen wollen. Die weggebrochenen Steuereinnahmen machen die Bekämpfung von Steuerparadiesen und Steuersparmodellen bei Großkonzernen zum interessanten Ertragsthema. Die EU ist gerade dabei das Thema neu aufzurollen. Und diesmal scheinen sogar die Niederlande, Luxemburg und Irland einverstanden zu sein, ihre Steuergesetzgebungen anzupassen. Folglich zeigt sich Covid-19 nicht nur als Schadenbringer, sondern vielleicht als Heilbringer.