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"Strom aus Großkraftwerken wird Geschichte sein"

Der führende deutsche Energieforscher Stephan Kohler weilt anlässlich der Vollversammlung des Südtiroler Energieverbandes in Bozen und spricht im Interview über die Zukunft des Energiesektors und die Ist-Situation in Südtirol.

Herr Kohler, wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus?
„Die Energieversorgung wird sich in Zukunft vollkommen verändern, weil wir eine starke Dezentralisierung erleben und die Themen regenerative Energie und Effizienz in den Mittelpunkt rücken.  Besonders die Energieeffizienz kann nur dezentral angegangen werden, ob Gebäudesanierung, elektrische Geräte für den Haushalt oder Maschinen im Betrieb. Am Ende beginnt die Energiewirtschaft von morgen immer beim Verbraucher bzw. beim Kunden. Dieser wird die Energie mehr und mehr ausschließlich lokal beziehen, z.B. durch Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach oder – wie in Südtirol – vielfach durch Blockheizkraftwerke in der unmittelbaren Umgebung. Dadurch wird sich die Energielandschaft völlig verändern. Energie, die aus großen Kraftwerken von „irgendwo“ herkommt, wird dann Geschichte sein.

Stichwort Energiewende: Was hat sich in Deutschland seit dem im Jahr 2000 begonnenen Atomausstieg und dem Ausbau der regenerativen und effizienten Energie getan?
In Deutschland wurde einem klaren Programm gefolgt, das zentral vorgegeben wurde. Neben dem schrittweisen Rückbau der atomaren und fossilen Energiegewinnung hat sich im Kleinen einiges entwickelt. Vor allem im Bereich Photovoltaik und Windkraft. Ein Trend ist dabei klar erkennbar:  Auch Großprojekte können zur Energieeffizienz und somit Energiewende beitragen – die müssen aber mit Bürgerbeteiligung wirksam gestartet werden. Da ist man auch in Deutschland sehr sensibel, was solche Themen angeht.

In Italien hat der Photovoltaik-Markt nach einem exorbitanten Boom und Förderung einen starken Einbruch und die Technik so einen Dämpfer erlebt. War der Rückschlag vorprogrammiert?
Italien ist eher ein Ausnahmefall. Solch starke Marktschwankungen kennt man etwa in Deutschland nicht. Wenn auch mit Abstrichen wird dort noch immer gut in Photovoltaik-Anlagen investiert. Es bleibt trotzdem die Technik für die Zukunft, vor allem in den südlicheren Ländern mit mehr Sonnentagen. Ein zweites großes Standbein der regenerativen Energie ist die Wasserstofftechnik, wie sie hierzulande ja auch in Bozen ausprobiert wird.

Angesichts der steigenden Weltbevölkerung mit prognostizierten 8 Mrd. Menschen 2050 wird auch der weltweite „Energiehunger“ steigen. Ist ein völliger Ausstieg aus fossiler Energie angesichts solcher Prognosen überhaupt denkbar?
Im Moment sicher nicht. Es wird auch 2050 mit Sicherheit Energiegewinnung aus fossilen Trägern wie Erdöl und Erdgas geben. Global wie lokal. Dafür ist der Energiebedarf viel zu hoch und zu unterschiedlich. Doch das Verhältnis wird sich – vor allem im Kleinen – stark umkehren. In den Kalkulationen der Energiewende spielt das Bevölkerungswachstum natürlich eine große Rolle.

Kommen wir noch einmal auf Südtirol zurück. Ein Big Player ist durch die Fusion von SEL und Etschwerke entstanden, gegen den Willen des lokalen Genossenschaftswesens. Ein herber Rückschlag für die Dezentralisierung?
Es kann und muss ein Miteinander geben. Südtirol muss jetzt seine bereits sehr vorbildliche Energiewirtschaft gemeinsam ausbauen. Und es muss lokal gedacht werden. Hier kann mit Vernetzung und über das Know how, über smart Grids und Smart Systems Energieeffizienz noch weiter vorangetrieben werden. Stadtwerke und genossenschaftliche Energieträger und große Stromproduzenten sollten zusammenarbeiten.

Ist eine Investition bzw. eine Übernahme der Netze durch den Produzenten sinnvoll? Beispiel Vinschgauer Energie Konsortium und Übernahme der Netze der SELNET.
Grundsätzlich bin ich kein Anhänger von Netz-Übernahme durch genossenschaftliche Produzenten. In bestimmen Fällen kann es aber sehr lohnenswert sein, da die Energiekosten „selbstverwaltet“ sind. Auch in Deutschland gibt es solche Beispiele. Ich denke aber, die beste Effizienz für Produzenten und vor allem für den Kunden bringen hier wechselseitige Kooperationsmodelle.

ZUR PERSON:
Stephan Kohler gehört dem Präsidium des Weltenergierats (WEC) an und berät u.a. die deutsche Bundesregierung. Bis Ende 2014 leitete er die Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena) – ein international anerkanntes Kompetenzzentrum für Energieeffizienz, erneuerbare Energien und intelligente Energiesysteme.