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"Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, der wird auch in schlechten Zeiten überleben"

Martin von Malfèr, Volkswirt und Börsenspezialist für die Raiffeisen Geldorganisation in Bozen: im Interview zu den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen für Südtirol.

Wie schaffen Sie es, den Überblick über das derzeit turbulente makroökonomische Umfeld zu halten?

Es stimmt, die Komplexität der Finanzmärkte hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Entscheidungen, die in China getroffen werden, wirken sich heute direkt auf den Konsumenten, den Arbeitnehmer genauso wie auf die Unternehmen hier in Südtirol aus. Folglich reicht es auch nicht mehr aus, Entwicklungen in einem "kleinen" Nationalstaat wie Italien zu betrachten. Die Entwicklung in Südtirol ist sehr stark davon abhängig, was in den großen Wirtschaftsräumen außerhalb von Europa passiert.

Aus der Sicht der Genossenschaften: welche der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen werden sich bereits im laufenden Jahr auswirken?

Eine der Entwicklungen ist die Rücknahme der generellen Prognosen für 2016. Internationale Organisationen wie die Weltbank und der internationalen Währungsfond waren zunächst davon ausgegangen, dass 2016 das Jahr der Industrienation sein werde. In den rohstoffimportierenden Nationen hätte, aufgrund der gesunkenen Rohstoffpreise, die Kaufkraft der Konsumenten zunehmen sollen. Das hätte zu einer Steuererleichterung führen können, die dann zu mehr Wachstum beigetragen hätte. Allerdings gibt es derzeit große Stolpersteine für die Weltwirtschaft. Einer davon ist die Erschwernis der Handelsrouten. De facto ist allein in Europa die Flüchtlingsproblematik, die ja zur Einführung von neuen Grenzkontrollen führt und dadurch den Güteraustausch erschwert, nicht von der Hand zu weisen. Und man kann sich vorstellen, was das für den Handel auch aus Südtiroler Sicht bedeutet.

Wie kann man sich als Südtiroler Unternehmer/In darauf vorbereiten?

2016 wird ein ziemlicher Paradigmenwechsel stattfinden. Viele Wahrheiten, die über Jahrzehnte unser Wirtschaftsgefüge bestimmt haben, könnten dieses Jahr auf den Prüfstand gestellt werden. Einer der Wahrheiten war, dass China ein riesiger Absatzmarkt für unsere Industrieprodukte wäre. China ist natürlich eine große Nation, die auch noch 2015 zu einem Drittel zum gesamten Weltwirtschaftswachstum beigetragen hat. Dieses Land hat allerdings in diesem Jahr wegen zahlreicher Problemen (Einbruch im Immobiliensektor, Anstieg der Streikbereitschaft seitens der Chinesischen Belegschaft, steigenden Firmenkonkurse) in den "Krisenmodus" umgestellt.

Damit ist dieser Wachstumsmotor, der in den letzten Jahren auch unseren Unternehmen sehr viel Geld eingebracht hat, ins Stottern gekommen. Hinzu kommen andere Weltgegenden, wie beispielsweise Japan, die auch direkten Einfluss nehmen auf unsere Finanzmärkte. Japan sitzt als Nation zwar noch auf enorme Geldreserven, hat allerdings eine Staatsverschuldung von 250 Prozent des Bruttoinlandproduktes und diese Staatsverschuldung beginnt, angesichts einer sinkenden Bevölkerung, weh zu tun. 43 Prozent der Steuereinnahmen Japans werden bereits jetzt für die Bedienung der Zinszahlungen für diese Schuld herangezogen. Dieses Land wird wahrscheinlich in Zukunft als Exportmarkt für uns unwahrscheinlich.

Wir haben somit China, das irgendwie stottert, wir haben Japan, das stottert. Wir haben Russland, das stottert. Dies wirkt sich auch auf die Touristenströme aus. Russland ist beispielsweise ein Land, das sehr stark von Erdöl- und Erdgasexporten abhängig war. Mit einem Erdölpreis von 28 Dollar riskiert Russland binnen kurzer Zeit den Konkurs. Damit drohen ganze Bevölkerungsschichten unter die Armutsgrenze abzurutschen, die vorher zum Mittelstand gehörten. Die können sich nie mehr vorstellen in Europa Urlaub zu machen. Diese Touristenströme fehlen dann einfach. Dies trifft auch unsere Genossenschaften, die nach Russland exportieren und exportiert haben. Aufgrund der mangelnden Kaufkraft des russischen Bürgers, werden die Genossenschaften auch nach Aufhebung des Handelsembargos kaum mehr Geschäfte mit den russischen Bürgern machen. 

Eine Krise beinhaltet immer auch eine Chance - welche Chance sehen sie für Südtirol als Standort und die Südtiroler Genossenschaften?

Das Bild, das sich generell für alle Wirtschaftsräume abzeichnet ist: die Zeiten werden relativ schwierig. Wir haben derzeit insgesamt 17 große Fragezeichen, die auf der Weltwirtschaft lasten. Sofern der politische Wille da ist, können sehr viele dieser Fragezeichen gelöst werden. Nur sehe ich derzeit auf politischer Ebene sehr wenig Bereitschaft zur Kooperation. Vielmehr versucht jedes Land sein eigenes Süppchen zu kochen. Das gilt besonders in Europa.

Was für Südtirol eine wesentliche Rolle spielt, ist die Frage ob uns in den nächsten Jahren eine Effizienzsteigerung gelingt. Wir haben natürlich große Wettbewerbsvorteile, die andere Regionen der Welt nicht haben. Dazu zählt das Know How, das wir in sehr vielen Teilbereichen der Industrie aufgebaut haben, den Investitionsschub, den wir im Tourismus erlebt haben oder auch die Organisation, die wir auf der Genossenschaftsebene generell haben. Abkoppeln von der Weltwirtschaft können wir uns nicht mehr.

Als Südtiroler bin ich allerdings schon guter Dinge, denn wer seine Hausaufgaben gemacht hat, der wird auch in schlechten Zeiten überleben, wer sie nicht gemacht hat, geht unter.