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Wie regionale Nähe in der digitalen Welt gelingt

Wie die Genossenschaften ihre Trumpfkarte der regionalen Nähe im Digitalzeitalter ausspielen können, stand im Mittelpunkt der 23. IGA-Genossenschaftstagung Anfang November in Innsbruck. Das Motto der Tagung: „Regionale Nähe in der digitalen Welt – geht das?“

„Die Digitalisierung ist der prägende Zukunftstreiber, wir müssen die Digitalisierung mutig nutzen“, sagte Arnulf Perkounigg. Der Vorsitzende des Instituts für Genossenschaftsforschung im Alpenraum konnte zur 23. Jahrestagung im Hotel by Mariott in Innsbruck zahlreiche Genossenschaftsvertreter aus dem deutschsprachigen Raum begrüßen. DieTagung zeigte mehrere "best practice"-Beispiele erfolgreicher digitaler Projekte von Genossenschaften.

Win-win-Geschichte
Therese Fiegl, Initiatorin der Bauernkiste zeigte die Entwicklung der 1997 gestarteten und seither erfolgreichen Direktvermarktungsplattform auf. Rund 60 bäuerliche Betriebe und Familienunternehmen bieten im Web über 400 vorwiegend regionale landwirtschaftliche Produkte an. Die Kunden bestellen online, Bäuerinnen packen die Produkte zusammen. Zugestellt werden die Pakete im Großraum Innsbruck bis Schwaz und im Oberland. Heute erzielt die Bauernkiste einen Jahresumsatz von 1,5 Mio. Euro. Insgesamt eine Win-win-Geschichte für Bauern und Kunden. Therese Fiegl: „Das Digitale ermöglicht es uns, sehr nahe bei den Kunden zu sein“.

Erfolgreicher Multikanal
Eine erfolgreiche Multikanalstrategie mit starker Verwurzelung vor Ort präsentierte Alfred Kapfer, Geschäftsführer von Expert Österreich e.Gen.  Der Genossenschaft gehören 165 selbstständige örtlich tätige Unternehmer mit 190 Elektrofachgeschäften in ganz Österreich als Mitglieder an. Neben dem gemeinsamen Wareneinkauf erfolgt über die Genossenschaft u. a. das Marketing, die Weiterbildung und der Multichannel-Vertrieb. Der Kunde kann mobil einkaufen, sich die Ware liefern lassen oder beim lokalen Experthändler abholen. Alfred Kapfer: „Wir liefern, installieren, reparieren und orientieren unsere Onlinestrategie zu 100 Prozent an den Kundenbedürfnissen“. Ein Beispiel für eine enge Vernetzung digitaler Möglichkeiten mit Service und Nähe vor Ort im Geschäft.

Neue Plattformen
Unter dem Motto „Digitalisierung! Es kommt darauf an, was man daraus macht“ beleuchtete Stefan Wunram, leitender Berater bei der Datev eG, die wachsende Bedeutung der Plattformtechnologie. Wunram: „Digitalisierung erfordert Genossenschaft neu zu denken.“ Die Datev ist eine Genossenschaft von Steuerberatern, die Software und IT-Dienstleistungen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte bietet. Die Digitalisierung habe zu mehr ausländischer Konkurrenz an Anbietern geführt. Damit das eigene Geschäftsmodell nicht obsolet wird, musste Datev mit einer neuen Strategie reagieren: Datev hat eine eigene Plattform-Technologie ins Leben gerufen, die sich der Mandatsgewinnung und -bindung widmet. „Anstatt uns einer ausländischen Plattform anzuschließen, die den Großteil der Wertschöpfung einstreift, haben wir unsere eigene gestartet“. Es sei gelungen, eine Plattformtechnologie erfolgreich in die Geschäftswelt der Mitglieder zu implementieren.

Genossenschaft großschreiben
Regionale Nähe als einziger Weg für die Kreditgenossenschaften in der digitalen Welt. Davon zeigte sich der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen-Landesbank Tirol AG Johannes Ortner überzeugt. Er bezeichnete die Digitalisierung, die Nullzinsen und die starke Regulierung als größte Herausforderungen für Kreditgenossenschaften. Auch als AG versuche die RLB Tirol genossenschaftliche Ideen auf den Weg zu bringen. Neuestes Projekt: das geplante RAIQA Quartier zwischen Hauptbahnhof und Innsbrucker Innenstadt, das allen zum Dialog, Verweilen und Wohlfühlen offensteht. Ortner: „In Zeiten von Google, Amazon und Co. müssen wir unsere eigenen Plattformen bilden, wollen noch näher an die Menschen heran und setzen dabei auf genossenschaftliche Werte wie Kundennähe, persönliche Beziehung und Vertrauen sowie unsere Rolle als Kümmerer“. Abgerundet wurde die Tagung mit einer Podiumsdiskussion der Referenten, die von Regina Wenninger, Vorstandsbeauftragte beim Genossenschaftsverband Bayern, geleitet wurde.

IGA-Forschungspreis vergeben

Mit dem diesjährigen IGA-Forschungspreis wurden Dr. Peter Suter aus der Schweiz und Dr. Sanà Wittmann aus Bayern geehrt. Dr. Peter Suter erhielt den Preis für seine Forschungsarbeit über Wohnbauarbeiten zum Thema „Volunteer Engagement in Housing Co-operatives: Civil Society ‚en miniature‘“. Eine Erkenntnis aus der Arbeit: Mitglieder werden vor allem dann freiwillig aktiv, wenn sie etwas bewirken und bewegen können. Dr. Sana`a Wittmann erhielt den Preis für ihre Dissertation zum Thema „Die Bayrische Raiffeisen Zentralbank 1893-1986. Ihr unausweichlicher Weg in die drohende Zahlungsunfähigkeit?“ Darin beleuchtet sie die Gründe für den Untergang des einstmaligen Flagschiffs des Zentralkassen-Genossenschaftswesens. Vorgestellt wurden die Arbeiten von Universitätsprofessor Rudolf Steckel, dem wissenschaftlichen Beirat des IGA-Instituts. Die Preise überreichte IGA-Vorsitzender Arnulf Perkounigg.

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