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Arbeitskreis für Frauen in Genossenschaften
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„Genossenschaft heißt Vielfalt – und die braucht es mehr denn je“

Was sie an der Landwirtschaft so fasziniert, warum sie das System Genossenschaft für unverzichtbar hält – und weshalb Diversität der Schlüssel für die Zukunft ist. Darüber sprechen wir mit der Milchbäuerin und Genossenschafterin Franziska Schilcher, Verwaltungsrätin im Österreichischen Raiffeisenverband.

Unter dem Motto „Pionierinnen des Wandels – Die Rolle der Frauen im Genossenschaftswesen“ trafen sich kürzlich auf Einladung des "Arbeitskreises Frauen in der Führung von Genossenschaften" rund 100 Mandatarinnen und weibliche Führungskräfte aus Südtiroler Genossenschaften in der Kellerei Schreckbichl. Eine der Referentinnen war die Land- und Forstwirtschaftsmeisterin Franziska Schilcher aus Piberegg in der Steiermark. Sie ist u.a. Aufsichtsrätin im Lagerhaus Graz-Land, Vorstandsmitglied im Raiffeisenverband Steiermark, Verwaltungsrätin im Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV) und Mitglied im Funktionärinnen-Beirat.


Frau Schilcher, Sie bewirtschaften mit Ihrer Familie einen Milchvieh- und Forstbetrieb auf 700 Metern Höhe. Was bedeutet Ihnen diese Arbeit?

Mir wurde das ein bisschen in die Wiege gelegt. Meine Eltern haben früh erkannt, dass ich Freude an Landwirtschaft und Tieren habe, und mir eine fundierte Ausbildung ermöglicht – bis hin zum Meistertitel in Land- und Forstwirtschaft. Heute bin ich mit Leib und Seele Milchbäuerin und Forstwirtin. Besonders schätze ich die Selbständigkeit, die Abwechslung und die kleinen Erfolgserlebnisse im Alltag – das tut Kopf und Herz gut. Gleichzeitig ist es eine Lebensform, die viel Einsatz und Leidenschaft erfordert. Man muss die Natur lieben, die Arbeit mit den Tieren mögen und bereit sein, auch bei Wind und Wetter rauszugehen.

Wie sieht Ihr Betrieb konkret aus?

Wir halten Milchkühe und züchten Braunvieh, dazu Wagyu-Rinder in Mutterkuhhaltung, die für die gehobene Gastronomie vermarktet werden. Unsere Milch geht an eine Molkereigenossenschaft, minderwertiges Holz an eine Wärmeversorgungsgenossenschaft. Der Betrieb ist dadurch eng in genossenschaftliche Strukturen eingebunden, was für kleinere Höfe entscheidend ist. Gleichzeitig liegen wir in einer Region mit kaum Tourismus. Zusatzeinnahmen wie etwa in Südtirol gibt es bei uns nicht so viele. Das erschwert die Pflege der Almen: Immer weniger Rinder weiden im Sommer, und die Flächen wachsen zu. Damit geht eine jahrhundertealte Kulturlandschaft auch verloren – auch das ist eine Herausforderung für die Zukunft.

„Landwirtschaft ist eine Lebensform – man muss sie lieben, sonst hält man sie nicht durch.“

Welche generellen Probleme sehen Sie in der Berglandwirtschaft?

Die Strukturen sind begrenzt. Mit 15 bis 20 Milchkühen lässt sich kaum noch eine Familie erhalten, geschweige denn investieren. Man kann die fehlende Wirtschaftlichkeit nur über Menge ausgleichen – aber dafür fehlen bei uns die Flächen. Dazu kommt: Die Milchviehhaltung bindet 365 Tage im Jahr. Urlaub oder Pausen sind schwer möglich. Und: Am Hof arbeiten heute immer weniger Menschen. Früher waren mehrere Arbeitskräfte da, heute bin oft nur ich alleine in Vollzeit. Viele Betriebe laufen im Nebenerwerb, ein Partner oder beide gehen außer Haus arbeiten. Das heißt, die schwere Arbeit bleibt abends oder am Wochenende liegen. Ich sehe darin ein großes Problem – auch für die nächste Generation. Wenn die Jugend nur sieht, wie man von Arbeit getrieben ist, macht das die Entscheidung für ein Leben in der Landwirtschaft nicht leichter.

Wie steht es um den Nachwuchs? 

Grundsätzlich sehe ich keine Nachwuchssorgen, die Begeisterung ist da. Aber die jungen Menschen werden die Betriebe anders führen. Sie sind innovativ, probieren neue Konzepte und setzen auf moderne Technik. Manche spezialisieren sich stark, andere vergrößern, wenn sie die Möglichkeit haben. Ich finde diese Vielfalt spannend und bin keineswegs pessimistisch. Aber die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass sich die Arbeit auch lohnt – sonst verlieren wir die jungen Leute.

Neben der Landwirtschaft sind Sie in vielen genossenschaftlichen Gremien tätig. Was motiviert Sie dazu?

Ich bin vom System Genossenschaft zutiefst überzeugt. Unser eigener Betrieb lebt davon – von der Milchlieferung bis zur Forstwirtschaft. In der Wärmeversorgungsgenossenschaft Schlossbadsiedlung, in der ich Aufsichtsratsvorsitzende bin, haben wir uns zu sechst zusammengetan, ein Heizwerk gebaut und beliefern es mit Hackschnitzeln. Minderwertiges Holz bekommt dadurch einen Wert, und die Region profitiert. Solche Modelle sind für mich Paradebeispiele: Sie zeigen, wie viel man gemeinsam erreichen kann. Darüber hinaus motiviert mich die Zusammenarbeit in Gremien. Wenn in Sitzungen unterschiedlichste Praktiker zusammenkommen – Milchbauern, Ackerbauern, Forstwirte, Direktvermarkter usw. –, entsteht ein riesiger Schatz an Wissen. Diese Vielfalt an Erfahrungen ist unbezahlbar und führt oft zu Lösungen, die ein Einzelner nie gefunden hätte.

„Das Wissen der Funktionäre ist ein Schatz, den wir in die Entscheidungen einbringen müssen.“

Sie engagieren sich seit über 30 Jahren in Genossenschaften. Wie hat sich Ihre Sicht in dieser Zeit verändert?

Früher waren die Genossenschaften klein und überschaubar. Heute sind sie durch viele Fusionen stark gewachsen. Damit steigen Bilanzsummen und Verantwortung. Für die Funktionäre bedeutet das: Sie müssen sich ständig weiterbilden, um am Ball zu bleiben. Das ist nicht leicht, weil die Arbeit am eigenen Betrieb nicht weniger wird. Hier sehe ich ein Risiko: Wenn Ehrenamtliche mit den komplexen Zahlen nicht mehr mithalten können, öffnet sich eine Lücke zwischen Praxis und Vorstand. Und dann droht die Stimme der Basis verloren zu gehen. Deshalb ist es wichtig, dass man Funktionäre ernst nimmt, sie unterstützt und ihr Wissen bewusst in Entscheidungen einbezieht.

Wie gelingt es Ihnen, Landwirtschaft und ihre genossenschaftliche Funktionen zu vereinbaren?

Es braucht gutes Management – und eine Familie, die hinter einem steht. In der Phase, als unsere vier Kinder klein waren, war es besonders schwierig. Ich dachte damals oft daran, meine Funktionen aufzugeben. Aber die Kollegen hielten mich, sie boten mir an, mich zeitweise zurückzunehmen. Ich wurde über Mails und Unterlagen informiert, auch wenn ich nicht an jeder Sitzung teilnehmen konnte. Diese Flexibilität hat mir sehr geholfen. Heute, da die Kinder erwachsen sind, habe ich wieder mehr Luft und engagiere mich auch österreichweit. Das zeigt: Frauen können sich nicht in jeder Lebensphase gleich stark einbringen. Aber wenn Strukturen geschaffen werden, die Rücksicht nehmen, dann bleibt ihr Engagement erhalten.

Sie sind Mitglied im Funktionärinnen-Beirat des Österreichischen Raiffeisenverbandes. Worum geht es dort?

Unser Ziel ist es, mehr Frauen in die Gremien zu bringen. Es ist nicht mehr zeitgemäß, wenn auf Bildern fast nur Männer zu sehen sind. Meine vier Töchter haben mir das oft deutlich gespiegelt. Für die junge Generation ist Diversität selbstverständlich – sie versteht nicht, warum wir noch darüber diskutieren. Deshalb setzen wir uns ein, dass Frauen gezielt angesprochen und gefördert werden. Wichtig ist dabei auch die Unterstützung von ganz oben. Nur wenn der ÖRV das Thema ernst nimmt, kommt es an der Basis an. Und genau das passiert: In Revisionsberichten wird Diversität betont, in Schulungen thematisiert. Das zeigt Wirkung.

Wie steht es aktuell um die Zahlen?

Es gibt Fortschritte, aber sie sind noch bescheiden. Im Bankenbereich stieg der Frauenanteil seit 2014 von 8,5 auf 23 Prozent. In der Warenwirtschaft kletterten wir seit 2022 von 7,5 auf 9,5 Prozent, bei den Molkereien von 7 auf 8 Prozent. Diese Zahlen zeigen: Wir sind auf dem Weg, aber noch lange nicht dort, wo wir sein sollten.

„Unsere Kundschaft ist divers – also müssen auch unsere Gremien divers sein.“

Welche Hürden erleben Frauen auf dem Weg in Führungspositionen?

Hauptsächlich ist es die Angst vor Überlastung. Frauen tragen oft Beruf, Familie, Haushalt und Pflege zugleich. Spitzenfunktionen wirken da wie ein zusätzlicher Berg, den viele scheuen. Aber ohne Frauen geht es nicht. Genossenschaften müssen die Vielfalt ihrer Mitglieder widerspiegeln – nur so bleiben sie zukunftsfähig.

Welchen Rat geben Sie Frauen, die ein Mandat übernehmen wollen?

Mut haben! Man sollte sich informieren, was auf einen zukommt, ob genug Zeit und Bereitschaft für Weiterbildung da sind. Wer den Schritt wagt, wächst persönlich an jeder Aufgabe und profitiert enorm vom Netzwerk. Für mich persönlich war es durchwegs eine Bereicherung – fachlich wie menschlich.

Bei der Tagung „Pionierinnen des Wandels“ haben Sie an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Welche Botschaft wollten Sie besonders betonen?

Für mich ist entscheidend: Diversität ist kein „Nice to have“, sondern eine Notwendigkeit. Es geht auch nicht nur um mehr Frauen in den Gremien, sondern beispielsweise auch mehr junge Menschen, die wir fördern müssen. Wenn verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen zusammenarbeiten, entstehen die besten Lösungen. Außerdem müssen die Ideen der Funktionäre ernster genommen werden. Sie stehen an der Basis, hören, was die Menschen bewegt, und bringen wertvolle Perspektiven ein. Vorstände sind oft stark mit Zahlen beschäftigt und verlieren manchmal den Blick für die Praxis. Damit das Modell Genossenschaft lebendig bleibt, braucht es diese Rückkopplung. Und je vielfältiger die Gruppe der Funktionäre ist, desto stärker wird die Genossenschaft. INTERVIEW: THOMAS HANNI