Raiffeisen Nachrichten: Wie sind Sie Verwaltungsrätin der Raiffeisenkasse Wipptal geworden?
Verena Angerer: 2012 sprach mich der damalige Obmann Günther Seidner an, weil ein langjähriges Mitglied ausgeschieden war. Er suchte bewusst eine Frau als Nachfolgerin. Die Anfrage kam für mich überraschend, denn ich hatte mich vorher nie mit dem Genossenschaftswesen beschäftigt. Nach einem Treffen mit dem Obmann und der Direktorin Christine Pupp war ich sofort Feuer und Flamme, da ich gerade eine neue Herausforderung suchte. Natürlich gab es auch Zweifel, weil ich mich mit Finanzwesen oder Bankgeschäften kaum auskannte. Bei der Wahl erhielt ich zum Glück viele Stimmen und große Unterstützung der Mitglieder – seitdem bin ich im Verwaltungsrat.
Was gab Ihnen die Sicherheit zuzusagen?
Der Obmann und die Direktorin unterstützten mich von Anfang an und verwiesen auf die vorhandenen Ausbildungen. Das gab mir Sicherheit. Besonders spannend war für mich zu sehen, ob mich jemand wählen würde, da ich damals kaum in Verbänden oder Vereinen aktiv war.
Glauben Sie, dass Ihr Frausein bei der Wahl geholfen hat?
Ich glaube schon. Bis dahin war noch nie eine Frau im Verwaltungsrat, nur eine Aufsichtsrätin. Das hat sicher auch zur Wahl beigetragen.
Wie haben Sie die Mitglieder überzeugt?
Vielleicht mit meiner offenen, positiven Art und meiner Jugendlichkeit – ich war 28 Jahre alt und das jüngste Mitglied im Verwaltungsrat.
Welche Voraussetzungen brachten Sie mit?
Ich hatte einen Bachelor in Agrartechnik und Agrarwirtschaft– das war damals ausreichend als Zugangsvoraussetzung für die Arbeit im Gremium einer Bank.
Wie war es, als junge Frau in einem männlich geprägten Gremium?
Es war spannend. Gut war, dass Christine Pupp als Direktorin und Manuela Hochrainer als Aufsichtsrätin bereits dabei waren. Die männlichen Räte nahmen mich sofort positiv auf, und ich fühlte mich von Anfang an wohl.
Was empfanden Sie als Herausforderung?
Vor allem meine Unerfahrenheit und die Einarbeitungsphase.
Welche Initiativen verfolgen Sie derzeit?
Ich versuche, Dinge aus weiblicher Perspektive zu betrachten und mich auch als Landwirtin einzubringen. Unser Betrieb ist vielfältig: Urlaub am Bauernhof, Direktvermarktung – diese Erfahrungen fließen ebenfalls in meine Arbeit ein.
Was konkret bringen Sie aus weiblicher Perspektive ein?
Ich sehe oft, dass Männer die Herausforderungen von Frauen – insbesondere die Balance zwischen Familie und Beruf – nur schwer nachvollziehen können. Ich versuche, dafür Verständnis zu schaffen und die unterschiedlichen Rollen, die Frauen im Alltag tragen, einzubringen.
Wie organisieren Sie das zu Hause?
Mein Mann ist Vollzeit im Betrieb und kümmert sich auch um unseren Sohn. Unsere Arbeitszeiten sind flexibel, sodass wir die Betreuung teilen können. Erst als Mutter habe ich wirklich verstanden, dass Frauen und Männer in vielen Bereichen nicht gleichberechtigt sind – das motiviert mich, mich in dieser Hinsicht zu engagieren.
Was bedeutet Führung für Sie?
Führung bedeutet, viele Aspekte einzubeziehen, Empathie zu zeigen, Wissen und Kompetenz einzusetzen, aber auch Hausverstand und Lebenserfahrung einfließen zu lassen. Gerade in einer Welt mit immer mehr Regulatorien und Bürokratie, finde ich das sehr wichtig.
Was bedeutet Macht für Sie?
Macht bedeutet Verantwortung. Besonders im Kreditbereich haben wir die Verantwortung, anderen weiterzuhelfen oder nicht – das muss verantwortungsvoll geschehen.
Was bedeutet es, in einer Genossenschaftsbank zu arbeiten?
Ich kann mir eine andere Bank gar nicht mehr vorstellen. Der Umgang mit Mitgliedern und Kunden, die Werte einer Genossenschaft – das gewinnt heute wieder enorm an Bedeutung. Vertrauen, Nähe, lokale Wertschöpfung – das macht unsere Bank zukunftsorientiert.
Was begeistert Sie an der Arbeit im Gremium?
Der Kontakt mit Menschen, die Möglichkeit, Veranstaltungen und ehrenamtliches Engagement vor Ort zu erleben und den Obmann zu vertreten, sind für mich besonders bereichernd.
Unterstützen Sie auch Frauen?
Ja, sowohl im Arbeitskreis für Frauen in der Führung von Genossenschaften als auch in einem kleineren Rahmen in unserem Betrieb.
Wie stehen Sie zur Frauenquote?
Die Quote ist ein zweischneidiges Schwert. Ohne sie wäre ich vielleicht nicht in den Verwaltungsrat gekommen. Sie ist ein wichtiges Instrument, um Frauen nach vorne zu bringen – langfristig sollte sie aber nicht mehr nötig sein.
Wo finden Sie Ausgleich?
Seit drei Jahren habe ich die Jagd für mich entdeckt. Sie ist für mich ein großer Ausgleich und eine Leidenschaft, die ich aktiv ausübe. Das ist auch eher in eine Männerdomäne mit immer mehr Frauen. (lacht).
Ihr Lebensmotto?
Positiv bleiben, das Beste daraus machen – es wird schon gehen.
Haben Sie ein Vorbild?
Christine Pupp ist ein großes Vorbild für mich. Sie war eine der ersten Frauen in einer Führungsposition einer Bank und geht sehr wertschätzend mit Mitarbeitenden um.
Wie beschreiben Sie sich selbst?
Ich bin fröhlich, aufgeschlossen, empathisch und harmoniebedürftig. Ich versuche, diplomatisch zu handeln und positive Seiten zu sehen, bin aber auch ambitioniert mit meinem Betrieb.
Ihre abschließende Botschaft an andere Frauen?
Frauen können problemlos in Gremien mitarbeiten. Man muss sich nur einarbeiten, die Ausbildungen absolvieren und Herausforderungen annehmen – auch mal die Komfortzone verlassen. „Se ti fa paura, fallo!“ Dieser Satz einer Referentin hat mich immer inspiriert. Also das, was einem Angstmacht einfach tun.
Aufgrund der Mandatsbeschränkung bin ich nur noch zwei Jahre im Verwaltungsrat. Es war eine lange, schöne Zeit, und es ist gut, dass neue Personen nachkommen. Wichtig ist, Praxisbeispiele zu zeigen und das Engagement sichtbar zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch!


