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Die Digitalisierung wird Agrarsektor dramatisch verändern

Der Effizienzdruck in der Landwirtschaft durch die schwierige Preissituation befeuert die Nachfrage nach digitalen Lösungen spürbar, sagt Jörg Migende, Leiter des Digital Farming in der BayWa AG München.

Jörg Migende ist einer der Referenten bei der Tagung für landwirtschaftliche Genossenschaften, die der Raiffeisenverband am 17. Februar in der Kellerei St. Michael organisiert.

Herr Migende, was versteht man heute unter Digital Farming bzw. digitaler Landwirtschaft?

Jörg Migende: Prozessgesteuerte Betriebsführung – dazu gehören nicht nur vernetzte Maschinen und der Einsatz intelligenter Farm-Management-Systeme, sondern auch die Nutzung von Sensorik auf dem Acker und die Einbindung von Daten von Satelliten. Mit konsequenter Digitalisierung können wir die Landwirtschaft noch effizienter gestalten – diese Entwicklung wird die Prozesse im Agrarsektor dramatisch verändern.

Worin liegen die größten Chancen für die Zukunft?

Am weitesten sind derzeit Lösungen, bei denen GPS-Technik, Sensorik und Systeme zur Fernerkundung zum Einsatz kommen. Der Effizienzdruck innerhalb der Landwirtschaft durch die schwierige Preissituation für Erzeugnisse befeuert die Nachfrage nach digitalen Lösungen spürbar. Die Betriebe verschiedenster Größen, also auch kleinere und mittlere Betriebe, wollen von den Vorteilen profitieren, um eigene Betriebszweige und Prozesse zu optimieren. Die Chancen liegen darin, durch Digital Farming das Zusammenspiel aus Qualität, Effizienz und Ressourcenschonung zu erreichen.

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngern ist kontrovers diskutiert. Führt die digitale Landwirtschaft zu einem (noch) schonenderen Umgang mit der Umwelt?

Dies ist einer der zentralen Vorteile von Digital Farming. Ein wesentlicher Fortschritt ist die enorm verbesserte Präzision auf dem Feld im Zusammenspiel mit moderner Landtechnik. Dadurch kann heute auf den Quadratmeter genau zum Beispiel Dünger ausgebracht werden, wodurch Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz gleichzeitig verbessert werden.

Sie leiten auch ein Projekt für Smart Farming im Obst- und Weinbau. Worum geht es dabei?

Seit Herbst 2016 sind wir hier aktiv. Seither gab es Sondierungen am Bodensee sowie erste Testläufe in Mainfranken und im Raum Forchheim. Dort wollen wir in den nächsten Monaten auch neu verfügbare Sensorik im Feld testen und neue Anwendermodelle überlegen.
Die Digitalisierung ist im Bereich Logistik, Lager, Aufbereitung und Weitervermarktung weit fortgeschritten. Im Bereich Produktionstechnik auf dem Feld gibt es jedoch Nachholbedarf und gute Chancen für die neuen Technologien. Schwerpunkte sind hier die Einsparung von Pflanzenschutzaufwendungen durch frühzeitige, sensorgestützte Erkennung von Befallsnester, Schädlingsaufkommen und damit verbundene Prognosemodelle. Dabei helfen GPS gestützte Lokalisierung. Damit verbunden ist die automatisierte Aufzeichnung von Vorgängen auf dem Feld und die effiziente Planung und Abarbeitung von Arbeitseinsätzen. Die Umsetzung solcher Möglichkeiten ist am ehesten über die Anbaugemeinschaften interessant. Überbetriebliche Strategien sind klar im Vorteil zu Einzellösungen.

Welchen Beitrag kann Digital Farming leisten, um Kosten und Erlöse noch besser in den Griff zu bekommen?

Denkbar ist heute in fast allen Bereichen die Durchdringung von digitalen Lösungen. Dies umfasst sämtliche betriebliche Prozesse, deren Planung, Steuerung und Überwachung. Hinzu kommt die Vernetzung der einzelnen Betriebszweige untereinander als auch mit den vor- und nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette – sofern der Landwirt dies wünscht.

Ist Digital Farming heute für die Landwirte schon ein Muss oder kann der Bauer davor noch beruhigt die Augen verschließen?

Wenn es darum geht, neue Technologien zur Verbesserung der betrieblichen Prozesse einzusetzen, darf man die Innovationskraft der Landwirtschaft keinesfalls unterschätzen. Genau dabei unterstützen wir unsere Kunden. Unser Ziel ist es, die Vorteile der Digitalisierung wie Zeitersparnis und Ressourcenschonung unabhängig von der jeweiligen Betriebsgröße in der Praxis nutzbar zu machen – das heißt auch, dass es sich rechnen muss.

Wie wird sich das Berufsbild des Landwirtes durch Digital Farming in den nächsten Jahren ändern?

Die Landwirtschaft ist seit jeher durch die Technisierung im Wandel. Durch die zunehmende digitale Automatisierung und Vernetzung wird neben steigender Produktivität eine zusätzliche Verschiebung der Tätigkeit hin zum Management stattfinden. Dabei muss der Landwirt seine Position als eigenständiger Unternehmer stärken. Das unternehmerische Denken und die betriebliche Verantwortung wird ein Computer für den Menschen nicht übernehmen können. Die meisten Veränderungen der Digitalisierung sind von außen wenig sichtbar. Die Digitalisierung ist zwar in vielen Bereichen für den Landwirt von Nutzen, aber sie ist in erster Linie virtuell. So profitieren heute zum Beispiel in Oberbayern gerade mittlere Familienbetriebe vom Einsatz eines Melkroboters von einer Zeitersparnis und Arbeitserleichterung. Wenn also landwirtschaftliche Betriebe durch die Digitalisierung wirtschaftlicher werden, könnte dies sogar die bestehende Struktur stärken.

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Tagung der landwirtschaftlichen Genossenschaften
Jörg Migende spricht bei der vom Raiffeisenverband organisierten Tagung der landwirtschaftlichen Genossenschaften am 17. Februar in der Kellerei St. Michael-Eppan zum Thema „Digitale Landwirtschaft – was ist möglich?“ Weitere Referenten: EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann, Carlo Borzaga (Uni Trient), Reinhard Wolf (Generaldirektor Raiffeisen Ware Austria AG). Die Tagung (Motto: „Markt. Digitalisierung. Veränderung. Vernetztes Wissen und neue Perspektiven“) richtet sich an alle Obleute, Geschäftsführer, Verwaltungs- und Aufsichtsräte und leitenden Führungskräfte der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Beginn 14.00 Uhr. Anmeldung: rvs.uk(at)raiffeisen.it oder telefonisch unter 0471 945 022.