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Landwirtschaft: wer Digitalisierung nicht nutzt..

Die Rolle der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Zeiten der Digitalisierung und der steigenden Konzentration auf den Agrarmärkten stand Mitte Februar im Fokus einer Tagung des Raiffeisenverbandes.

Zur Tagung unter dem Motto "Markt. Digitalisierung. Veränderung. Vernetztes Wissen und neue Perspektiven" waren über hundert Vertreter der landwirtschaftlichen Mitgliedsgenossenschaften in die Kellerei St. Michael-Eppan gekommen.

Marktorientierte Agrarpolitik

EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann einen Überblick über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und die Herausforderungen der Landwirtschaft und der Genossenschaften in Europa. Er hob die wichtige Rolle der Erzeugerorganisationen und der operationellen Programme hervor, die bis 2020 gesichert sind; auch die Diskussion um die Gestaltung der EU-Agrarpolitik von 2020 bis 2026 habe schon begonnen. Derzeit versuche man Maßnahmen zur Vereinfachung der Agrarpolitik zu setzen. Interessant seien u. a. neue Überlegungen im Versicherungs- und Mutualitätsbereich, um landwirtschaftliche Einkommen abzusichern, wenn etwa die Auszahlungspreise bestimmte Schwellen unterschreiten. "Insgesamt müssen wir uns heute aber fragen, ob die 55 Mrd. Euro der europäischen Agrarpolitik wirklich einer offensiven, marktorientierten und zukunftsfähigen Landwirtschaft dienen, in der auch junge Leute noch einsteigen möchten", meinte Dorfmann.

In Zukunft werde die Agrarpolitik wohl so ausgerichtet werden, dass sie die Landwirtschaft insgesamt am Markt stärker positioniert und große Preisschwankungen abfängt aber direkte Unterstützungen zurückfährt. Dorfmann sprach sich gegen jegliche Abschottung der Märkte à la Trump aus. Dies wäre für die EU als weltweit größter Importeur und Exporteur von Lebensmitteln nur zum Nachteil.

 

Unterschätzte Genossenschaften

Carlo Borzaga, Wirtschaftsprofessor an der Universität Trient und Präsident des Forschungsinstituts Euricse, ging auf die wirtschaftliche Bedeutung der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Italien ein. "Leider werden sie weit unterschätzt und als wenig effizient wahrgenommen", sagte Borzaga. Dabei ist ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung enorm. So erzeugen die rund 4.700 landwirtschaftlichen Genossenschaften eine direkte und indirekte Wertschöpfung von knapp 30 Mrd. Euro, was in etwa zwei Prozent der Gesamtwertschöpfung Italiens entspricht. Über 80 Prozent werden allein in Südtirol, Trentino, Lombardei, Venezien und Emilia Romagna generiert. Der Umsatz in der italienischen Lebensmittelindustrie stammt zu 25 Prozent von landwirtschaftlichen Genossenschaften. Sieben der 50 größten Lebensmittelunternehmen sind Genossenschaften. Weit unterschätzt wird die Bedeutung der Landwirtschaft für vor- und nachgelagerte Wirtschaftssektoren - vom Maschinensektor bis zum Dienstleistungs-, Transport- und Kreditwesen. Ausdrücklich betonte Borzaga die große Bedeutung der landwirtschaftlichen Genossenschaften für die lokalen Wirtschaftskreisläufe.

Unglaubliche Konglomerate

Reinhard Wolf, Generaldirektor der Raiffeisen Ware Austria AG (RWA), beleuchtete die fortschreitende Internationalisierung der Agrarmärkte. "Es entstehen unglaubliche Konglomerate in der Agrochemie, Düngemittelindustrie und in der Saatgutindustrie", sagte Wolf. Die zehn größten Pflanzenschutzunternehmen (wie Syngenta, Bayer, BASF) beherrschen heute 95% der weltweiten Pflanzenschutzindustrie. Gleichzeitig wachsen die großen Agrarhandelsunternehmen zu globalen Kolossen heran. Wolf: "Die landwirtschaftlichen Genossenschaften sind die einzigen, die den internationalen Konglomeraten ein Gegengewicht entgegenhalten können". Als regionaler Partner müssen die Genossenschaften die Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder erhalten und auf die Entwicklungen Antworten geben. Dazu gehört es heute auch, den genossenschaftlichen Förderauftrag zu erweitern und - als ein Beispiel - den Mitgliedern die technologische und digitale Innovation zu vermitteln und zugänglich zu machen. "Größter Hemmschuh in der Entwicklung war immer die Angst vor Neuem, die Landwirtschaft und die Genossenschaften müssen aber mehr Mut zum Neuen wagen", sagte Wolf.

Boomende Digitalisierung

Jörg Migende, Verantwortlicher für Digitalisierung, IT und Smart Farming in der BayWa AG München, verwies im Vortrag "Digitale Landwirtschaft - was ist möglich?" auf die dramatische Veränderung des Agrarsektors durch die boomende Digitalisierung. Der Effizienzdruck befeuere die Nachfrage nach digitalen Lösungen. "Wer die digitalen Möglichkeiten nicht nutzt, verliert Kunden", sagte Migende. Die Gefahr bestehe darin, dass durch die Digitalisierung gewohnte Geschäftsmodelle schneller als man glaubt überholt und zerstört würden. "Daher hat jeder die Pflicht, sich mit der Digitalisierung und Technisierung auseinanderzusetzen."

Die Landwirtschaft habe heute mit sinkenden Preisen, wachsenden Kosten und steigenden Auflagen zu kämpfen. Die Digitalisierung müsse genutzt werden, um durch neue Technologien langfristig die Kostenschraube besser in den Griff zu bekommen. Digital bzw. Smart Farming bedeute in der Praxis vor allem mehr Präzessionslandwirtschaft und damit etwa ein besserer Betriebsmitteleinsatz, ein bedarfsgerechteres Düngen und ein zielgerichteter Pflanzenschutz. Somit erhalte Smart Farming auch eine wichtige gesellschaftspolitische Dimension.

Über konkrete Möglichkeiten der Digitalisierung speziell im Obstbau – von der Produktion, Vermarktung bis zur Einlagerung und Logistik – sprach Kurt Herbinger, der Vertrieb Westeuropa/Internationale Projekte des BayWa-Unternehmens FarmFacts in Pfarrkirchen, das Digital Farming Lösungen anbietet.

 

Neue Organisationseinheit im Verband 

Verbandsobmann Herbert Von Leon erinnerte bei der Tagung an die Bedeutung der landwirtschaftlichen Genossenschaften für Südtirol und sagte, dass sich der Raiffeisenverband künftig noch stärker als deren Interessensvertreter positionieren werde.

Generaldirektor Paul Gasser betonte, dass landwirtschaftlichen Themen und der genossenschaftlichen Entwicklung künftig noch mehr Gewicht eingeräumt werde. Als ein konkreter Schritt wurde mit Jahresbeginn die neue Organisationseinheit "Innovation und strategische Projekte" geschaffen, die vom langjährigen Direktor der Landesabteilung Landwirtschaft Martin Pazeller geleitet wird.

Die Veranstaltung endete mit der Präsentation zweier Spitzenweine durch Kellermeister Hans Terzer und einem Buffet im roten Barriquekeller der Kellerei St. Michael-Eppan.