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„Kindern eine Art Heimat geben“

Das Vinzenzheim in Schlanders ist eine Institution. Seit 1866 führen die Barmherzigen Schwestern des Hl. Vinzenz von Paul das Haus und bieten Kindern aus dem Vinschgau Heim, Aufgabenbetreuung, Mittagstisch und Freizeitgestaltung. Dass das Schülerheim auch in Zukunft weiter besteht, ist der Weitsicht der Ordensschwestern zu verdanken.

Schwester Maria Agnes Trafoier ist eine der Barmherzigen Schwestern des Hl. Vinzenz von Paul in Schlanders. Vor rund 40 Jahren hat sie hier als pädagogische Leiterin begonnen und hat auch heute noch die organisatorische und pädagogische Leitung des Schülerheimes inne. Als beruflich tätige Ordensschwester ist sie mittlerweile alleine. Ihre vier Mitschwestern, alle über 80, arbeiten nicht mehr und der Nachwuchs im Orden fehlt: "Da wird man gezwungen sich darum zu kümmern, das alles in gute Hände zu übergeben", meint Schwester Agnes, die inzwischen ebenfalls das Rentenalter erreicht hat.

Vor rund drei Jahren hat sich der Orden mit dem Bürgermeister der Gemeinde Schlanders, Dieter Pinggera, zusammengesetzt, dem die Fortführung des Heimes ein großes Anliegen war: "Der Orden hat den Dienst seit Jahrzehnten zur größten Zufriedenheit der Vinschger Schulwelt gemacht und diese hat Druck gemacht, dass das Vinzenzheim erhalten bleibt", erinnert sich der Bürgermeister.

Schließlich, nach Abwiegen der Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten, haben sich alle Beteiligten für die Gründung einer Sozialgenossenschaft ausgesprochen, mit sämtlichen Mitarbeitern, dem Orden, Verwaltern der Gemeinde Schlanders und weiteren Personen aus der Schulwelt als Mitglieder.

Pinggera ist heute der Obmann der Sozialgenossenschaft Vinzenzheim und davon überzeugt, dass die gewählte Unternehmensform unter den derzeitigen rechtlichen Bedingungen, die beste Lösung für die nicht gewinnorientierte Trägerschaft ist. Pinggera: "Wir finanzieren uns zu zwei Dritteln über öffentliche Beiträge der Familienagentur, vom Amt für Schulfürsorge und in kleineren Bereichen auch von der Bezirksgemeinschaft oder den Sozialdiensten. Die Genossenschaft ist die ideale Rechtsform, um solche Beiträge zu erhalten."

Als Sozialgenossenschaft Typ A bietet das Vinzenzheim in Schlanders, wie bisher, soziale Dienstleistungen an. Der Orden, die Mitarbeitenden und das Angebot sind nahezu unverändert geblieben. Nach wie vor werden hier jeden Nachmittag rund 85 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 6 und 18 Jahre bei den Aufgaben und der Freizeitgestaltung begleitet. Achtzehn Kinder schlafen im Haus.

In seiner Art ist das Betreuungskonzept des Vinzenzheims einzigartig in Südtirol.

Jede der insgesamt vierzehn Erzieherinnen betreut zwischen fünf und sieben Kinder: ein niederer Betreuungsschlüssel, der es ermöglicht, auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein zugehen. Damit gelingt es auch lernschwache Kinder zum Klassenziel zu bringen, weiß Sr. Agnes aus Erfahrung: "Wir bekommen teilweise Kinder mit Lern-, Lese- und Rechtschreibschwächen, mit ADS- oder ADHS-Syndrom. Die Großgruppe wäre ein Hindernis für das Weiterkommen dieser Kinder." Schwester Agnes ist es wichtig, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen und jedes einzelne so zu nehmen, wie es ist, trotz seiner Schwierigkeiten.

Diese intensive Form der Betreuung ist aus finanzieller Sicht eine Herausforderung. "So zu arbeiten kostet", betont Pinggera und spricht von der Schwierigkeit eine stabile Finanzierung aufzustellen. Schwester Agnes erinnert sich mit ein bisschen Wehmut an vergangene Zeiten: "Früher haben hier Schwestern gearbeitet, da bin ich leichter durchgekommen, weil die Ordensschwestern kriegen ja keinen Lohn... und sind immer da...."

Früher waren auch die Kinder anders, berichtet Schwester Agnes: "Heute können sich Kinder in einer Großgruppe nicht mehr so gut konzentrieren. Sie sitzen schon fünf Stunden in der Schule und wenn sie auch hier wieder sitzen und ruhig sein sollen, geht das nicht, sie müssen auch mal aufstehen und herumgehen können. Das Leben besteht nicht nur aus Schule, sondern auch aus Freizeit." Den Kindern ist das recht. Sie schätzen das Freizeitangebot im Vinzenzheim, das vom großen Spielplatz vor dem Haus bis zu gemeinsamen sportlichen Aktivitäten reicht wie schwimmen oder rodeln im Winter. Daneben wird auch die Turnhalle der Schule genutzt, geklettert, gebastelt oder gespielt. "Und um Weihnachten herum backen wir Kekse", ergänzt Schwester Agnes.

Individuelle Betreuung als Präventionsarbeit

Der Einfluss des Religiösen ist über die Jahre etwas in den Hintergrund getreten, bedingt auch durch den Zuwachs an Kindern verschiedener Konfessionen. Nach wie vor gibt es allerdings gemeinsame Gebete am Morgen, am Abend und beim Essen. Darüber hinaus findet einmal pro Woche eine Kindermesse statt. Immer jedoch geht es um gegenseitigen Respekt und zwar unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit.

Pinggera: "Diese Aufgeschlossenheit darf man schon unterstreichen. Das war bereits vor der Sozialgenossenschaft so, dass hier eine sehr offene Haltung gegenüber Andersgläubigen vorhanden war." Mittlerweile sind mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler im Vinzenzheim Kinder mit Migrationshintergrund. Damit leisten die Betreuerinnen und Betreuer im Vinzenzheim wertvolle Integrationshilfe und Prävention. Pinggera dazu: "Ich glaube, das ist die beste Prävention, die man machen kann. Wenn es gelingt 85 Kinder im Jahr einen Schritt weiterzubringen, wenn diese Menschen einen regulären Schulabschluss kriegen und im Idealfall auch den Einstieg in den echten Arbeitsmarkt schaffen, verhindert man Sozialfälle und das ist bestens investiertes Geld."

Der Ausblick in die Zukunft des Vinzenzheim ist aus heutiger Sicht positiv: durch die zentrale Lage des Heimes und die bereits vorhandenen Infrastrukturen können die verschiedenen Dienste weiterhin bestehen. Mehr noch: Aufgrund der großen Nachfrage planen die Mitglieder der Genossenschaft derzeit den Ausbau des Angebotes wie die Erweiterung der Mensadienste und die Errichtung einer Kinder-Tagesstätte für die ganz Kleinen (0 bis 2 ½jährigen).

Der Grundsatzbeschluss im Verwaltungsrat dazu ist schon gefallen.