Philosoph Heinz Palasser: „Alles beginnt mit Selbsterkenntnis!“

Wer sich selbst nicht führen kann, kann auch andere nicht führen. Selbstführung gehört somit zur wichtigsten Kompetenz von Führungskräften. Eine Kompetenz, die sich aneignen lässt. Das meint der Philosoph, Managementexperte und Gesundheitswissenschaftler Heinz Palasser.

Herr Palasser, sich mit sich selbst zu beschäftigen ist nicht jedermanns Sache. Mit welcher Einstellung sollten Führungskräfte an das Thema Selbstführung herangehen?

Heinz Palasser: Es fehlt häufig am Bewusstsein, dass es eine gewisse Differenz gibt zwischen dem eigenen Ich und dem Selbst. Und es fehlt die Einsicht, dass es ein Selbst gibt, das man führen kann. Sobald jemand erkennt, dass es ein Spannungsverhältnis gibt zwischen dem, was ich bin und was mein Selbst zum Ausdruck bringt, sind wir schon mitten in der Selbstführung. Das Zweite ist, dass wir uns schwierigen und überfordernden Situationen häufig machtlos ausgeliefert fühlen, weil es uns an den richtigen Instrumentarien fehlt, oder besser gesagt, an der richtigen Kompetenz.

Was bedeutet überhaupt Selbstführung und welche Instrumentarien meinen Sie?

Man spricht heute von fünf Generationen der Selbstführung, die sich im Laufe der Zeit etabliert haben. Dazu gehört etwa das klassische Zeitmanagement – was mache ich am besten mit der zur Verfügung stehenden Zeit – und die persönliche Arbeitsmethodik. Also Dinge, die zu tun sind, methodisch abzuarbeiten, wie es einem persönlich am besten entspricht. Das lässt sich am besten mit dem Begriff Effizienz zusammenfassen. Für die dritte Generation passt das Schlagwort Selbstverantwortung, bei der vierten geht es vor allem um Begriffe der Lebensqualität wie körperliche Leistungsfähigkeit, mentale Stärke, robuste Beziehungen und Lebenssinn. Und die fünfte Generation zielt vor allem auf die Selbstwirksamkeit und Selbstveredelung ab.

Zum Thema Selbstverantwortung: in vielen Unternehmen werden die Verantwortlichkeiten in der Führungshierarchie oft wahllos nach unten und oben hin- und hergeschoben, sodass die Verantwortung oft stark verschwimmt.

Ich stimme Ihnen zu, dass die eigene Verantwortung im Unternehmen allzu oft auf andere Stellen delegiert wird. Im Kontext der Selbstführung und des Selbstmanagement versteht man unter Selbstverantwortung aber etwas anderes. Nämlich dass man für sich selbst verantwortlich ist. Und zwar in dem Sinn, als man sich die Frage zu stellen hat, in wie weit das, was gerade im eigenen unternehmerischen Kontext passiert, mit dem eigenen Lebensplan und mit den eigenen Werten und Zielen im Einklang steht. Das Gegenüber der Selbstverantwortung wäre die Selbstaufgabe. Nur mehr noch Dinge zu tun, die mit einem selbst nichts mehr zu tun haben, sondern nur zu tun, weil sie von einer anderen Stelle mir auferlegt werden.

Und was bedeutet die von Ihnen vorhin genannte Selbstwirksamkeit bzw. Selbstveredelung genau?

Es geht dabei um die Frage, wie kann ich aus mir selbst schöpfen und im Hinblick auf die Ziele, die ich erreichen möchte, die maximale Wirksamkeit erzielen. Hier spielen Begriffe wie Achtsamkeit, Empathie, emotionale Intelligenz, das Erkennen seiner eigenen Motivationslage, die Beherrschung von Techniken der Leistungssteigerung und Ähnliches eine wichtige Rolle. Es geht hier um Instrumentarien, um an sich selbst anzusetzen und in eine Führungsposition zu kommen.

Was kann jemand also tun, um auf den unterschiedlichen Ebenen führend bei sich selbst anzusetzen?

Alles beginnt mit Selbsterkenntnis! Auf dem aufbauend, wenn ich die Konturen meines Selbst erkennen kann, kann ich überlegen, wie ich ein selbstbestimmtes Leben führe. Und das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich – gepaart damit, dass ich mich kenne, auch beherrschen kann, also wirklich Herr in meinem eigenen Hause bin. Das bedeutet, dass ich meine Gefühle zweckorientiert einsetzen kann und sie mich nicht unwillkürlich bestimmen. Und als letzte Stufe gibt es die sogenannte Selbstveredelung, also seinem gesamten Leben so etwas wie Orientierung und Zweckgerichtetheit und letztlich Sinn zu verleihen.

Brauchen Führungskräfte heute eine höhere Selbstführungskompetenz als früher?

Ich bin mir da nicht sicher, ob es heute wirklich mehr Selbstführung braucht, als wie es irgendwann in der Geschichte der Menschheit war. Tatsache ist jedenfalls, dass wir heute mit einer noch nie dagewesenen Flut an Informationen und Aufträgen verschiedenster Couleur konfrontiert sind. Gleichzeitig leben wir in einer Welt mit einem sehr hohen Vernetzungsgrad und einer Komplexität, die das Selbst mitunter schnell überfordern kann. Um diesen Überforderungsphänomen entgegenwirken zu können, ist alles, was mit Selbstmanagement zu tun hat, sicher sehr dienlich.

Mit welchen Eindrücken kehren Teilnehmer aus Ihren Selbstführungs-Seminaren nach Hause?

Das müsste man die Teilnehmer selbst fragen. Aber einen Effekt konnte ich bei jedem Seminar feststellen: es tritt eine gewisse Bescheidenheit ein hinsichtlich der Ansprüche, die man hat und dessen, was man hier auch leisten kann. Die Einsicht in das eigene Selbst lehrt einem eine gewisse Demut im Umgang mit sich selbst, aber auch im Umgang mit anderen. Daher wäre es auch so mein Wunsch, dass in diesen Seminaren so etwas wie ein wohlwollener und behutsamer Umgang mit sich selbst aber auch mit anderen entsteht. Eben deshalb, weil wir niemals eine vollständige Basis haben.

Im kommenden August halten Sie das Seminar „Selbstführung für Fortgeschrittene“ für Führungskräfte der Raiffeisen Geldorganisation. Warum sollten Führungskräfte aus Ihrer Sicht daran teilnehmen?

Ich würde sagen, es ist entweder die pure Neugier, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Oder das Gefühl, dass einem die Umstände über die Ohren wachsen und man  möglicherweise mit dem bestehenden Repertoire, das man zur Verfügung hat, nicht oder nicht mehr in der Lage ist, zu reagieren. Oder drittens, alles beide. Zentrale Inhalte des Seminars sind die Verbesserung der Lebensqualität und die Erhöhung der Selbstwirksamkeit. Mein Wunsch an potentielle künftige Teilnehmer wäre, dass sie, auch wenn sie eine gewisse Abneigung gegen die Thematik verspüren, sich mit diesen Dingen ein wenig auseinander setzen. Weil auf diese Art und Weise eben ein Plus an Lebensqualität  entsteht, nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen im Umfeld. Aber sicher, es gehört auch ein gewisser Mut dazu, sich mit sich selbst zu konfrontieren.

Interview: Thomas Hanni