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Verborgene Schätze: die Südtiroler Katakombenheiligen

Katakombenheilige sind prachtvoll geschmückte Gebeine von Heiligen, die meist in Glasschreinen in Kirchen aufbewahrt werden. Dass es in Südtirol besonders viele davon gibt, lässt sich kirchengeschichtlich erklären. Im Rahmen eines Projektes ist die Genossenschaft Europäische Textilakademie nun dabei, das weitgehend unerforschte Südtiroler Kulturgut zu erfassen, zu restaurieren und bekannter zu machen.

Wenn es um die Südtiroler Katakombenheiligen geht, kommt Irene Tomedi aus Bozen ins Schwärmen. Als international gefragte Koryphäe für historische Textilien hat sie zusammen mit dem Team der Europäischen Textilakademie bereits vier der Südtiroler Ganzkörperreliquien restauriert. Zu den Katakombenheiligen kam sie eher per Zufall: „Vor rund zwei Jahren hat sich die Pfarre von St. Martin in Passeier an mich gewandt, weil sie ihre beiden stehenden heiligen Leiber restaurieren wollte und im Zuge der Arbeit habe ich erkannt, welch beeindruckende Kunsthandwerke hier verborgen liegen.“

In Südtirol sind einige dieser Ganzkörperreliquien in Seitenaltären eingebaut und auf dem ersten Blick gar nicht erkennbar. Andere wiederum wurden in der Vergangenheit vom Altarraum entfernt und in Abstellkammern  aufbewahrt, weil die Anbetung der „Römerheiligen“ als nicht mehr zeitgemäß galt.

Bisher wurden im Land vierzig Katakombenheilige erfasst, die meisten im Eisack- und Pustertal. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der Forschungsarbeiten weitere aufgespürt werden. Allesamt stammen aus der Barockzeit und wurden in der Vergangenheit sehr oft vernachlässigt. Dies soll sich nun ändern. Mittlerweile hat die Europäische Textilakademie die Erforschung der Katakombenheiligen als Projekt aufgegriffen und die wichtigsten Partner mit ins Boot geholt. In Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt, den Pfarreien und interessierten Gemeinden, der Eurac und mit Hilfe von privaten und öffentlichen Geldgebern sollen die Südtiroler Katakombenheiligen in den nächsten Jahren erfasst, erforscht und restauriert werden.

Tomedi: „Zu Beginn wurde die Anzahl der in Südtirol erhaltenen Heiligen Leiber aufgenommen und der jeweilige Zustand dokumentiert. Nachdem sich ein Großteil in sehr schlechtem Zustand befindet, ist es Ziel der Akademie  eine Restaurierung und Konservierung vorzunehmen und eine wissenschaftliche Publikation zu veröffentlichen.“ Viel verspricht sie sich von der Zusammenarbeit mit Eurac Research in Bozen. Die entsprechenden Analysen sollen beispielsweise klären, ob die Knochen aus den Katakomben von Rom, jeweils von einer Person stammen oder sogar einem Heiligen zugeordnet werden können.

In Südtirol gibt es im Verhältnis zur Größe des Gebietes eine auffallend große Dichte an Katakombenheiligen. Erklärt wird das aus den antiprotestantischen, der katholischen Reform verpflichteten Tendenzen im Bistum Brixen. Mit Hilfe von diesen „Heiligen Laibern “, versuchte die katholische Kirche damals den Glauben ihrer Mitglieder wieder zu stärken und ein Übergreifen des Protestantismus auf die Pfarreien zu verhindern. Deshalb wurde im 17. Jahrhundert systematisch mit der Erhebung der Gebeine in den Katakomben in Rom begonnen. In einigen der Südtiroler Pfarrarchiven finden sich heute noch die entsprechenden Dokumente, die Kauf und Lieferung der Reliquien bestätigen.

In Kisten verpackt kamen die Knochen nach Südtirol. Beauftragte Klosterfrauen stellten die Gebeine anschließend zusammen und verzierten sie mit viel Liebe, Hingabe und Aufwand. Noch ist nicht klar in welchen Klöstern die Gebeine dekoriert wurden. Tomedi: „Da gab es sicher mehrere Klöster, die diese aufwendigen Arbeiten gemacht haben, aber ganz genau wissen wir das noch nicht. Im Zuge von weiteren Untersuchungen und Analyse werden wir das besser zuordnen können.“

Der Heilige Vincentius von Saragossa aus St. Leonhard(siehe Bilder) ist vor kurzem fertig restauriert worden. Tomedi erinnert sich an den schlimmen Zustand der liegenden Ganzköperreliquie: „Zahlreiche Ersatzknochen aus Holz, die vermutlich eingesetzt wurden, weil einige Knochen fehlten, waren vom Holzwurm weitgehend zerfressen. Auch die Seidengarze, die üblicherweise alle Knochen umhüllt …  alles zerfressen.“

In zwei Monaten akribischer Feinarbeit hat sie und das Team der Europäischen Textilakademie den Schädel und alle anderen Knochen gereinigt, mit einer neuen, sehr dünnen Seidengarze eingehüllt und die kostbaren historischen Textilien und Gold-und Silberfiligranarbeiten gereinigt und restauriert. Tomedi: „Zunächst wird der Zustand fotografisch und schriftlich festgehalten. Anschließend werden die einzelnen Stoffteile und Dekorationen vorsichtig abgenommen und ihre genaue Lage fortlaufend fotografiert damit man abschließend die Einzelteile wieder wie ursprünglich zusammensetzten kann.“

Für die Dekoration der Heiligen wurden mitunter auch bereits vorhandene Stoffe zusammengesetzt und verwendet. So war es bei ihrer letzten Arbeit am Hl. Vincentinus: „Da sieht man genau, das sind zwei Ärmel von einer Dalmatik und das ist der Schild von einem Pluviale.“

Die meisten Katakombenheiligen sind wie römische Soldaten gekleidet. Der Hl. Vincentius trägt sogar Brustschutz und Helm. Auffallend sind vor allem die vielen Stickereien und die wertvollen Stoffe: „Das hier ist ein mit Gold broschierter Seidendamast – ein wunderschöner Stoff. Und da musste ich den ursprünglichen sehr brüchigen  Stoff zum Festigen zwischen zwei Lagen passend eingefärbte Seidengarze legen und mit haardünnen Seidenfäden festigen“, erklärt Tomedi. Die Genugtuung bei dieser Arbeit kommt am Ende: nach der langwierigen, minutiösen Arbeit kommt die ursprüngliche Pracht wieder zum Vorschein.

In Südtirol wurden mittlerweile vier der bisher vierzig erfassten Katakombenmärtyrer bereits restauriert: zwei stehende der Hl. Valelntinus und der Hl. Magnus aus der Pfarrkirche in St. Martin in Passeier, der liegende Hl. Viktor aus der Stiftskirche in Neustift und jetzt der Hl. Vincentinus von Saragossa  aus St. Leonhard in Passeier.

Insgesamt ist das Gebiet der Katakombenheiligen in Südtirol noch weitgehend unerforscht. Bis auf wenige Bildbände gibt es in diesem Bereich kaum Literatur. Mit dem Projekt der Genossenschaft Europäische Textilakademie wird sich das jetzt ändern.

 

 

 

 

 

Video: Irene Tomedi und Team bei der Restaurierung des Hl. Viktor aus der Stiftskirche in Neustift. Video zur Verfügung gestellt von der Europäischen Textilakademie.