Verein oder Sozialgenossenschaft?

Mit der Reform des Dritten Sektors hat Italien eine neue gesetzliche Grundlage für die Arbeit von Vereinen und gemeinnützigen Organisationen – vor allem im sozialen Bereich - geschaffen. Viele von ihnen überlegen nun den Verein in eine Sozialgenossenschaft umzuwandeln. Ein Interview mit Expertin Petra Bisaglia.

Als Mitarbeiterin der Hauptabteilung Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften beim Raiffeisenverband Südtirol, hat Petra Bisaglia die Reform des 3. Sektors begleitet und weiß, was es mit dieser Reform auf sich hat.

Raiffeisen Nachrichten: Um was geht es konkret bei dieser Reform?

Petra Bisaglia: Ziel der Reform des 3.Sektors ist eine Neuordnung des Nonprofit-Bereiches. Zum ersten Mal berücksichtigt ein Gesetz alle Aspekte des italienischen Non-Profit-Bereiches: von der Spendensammlung, zum Zivildienst, bis hin zur Errichtung eines nationalen Registers der Körperschaften des 3. Sektors und deren steuerliche Behandlung, sowie der Steuerbegünstigungen für diese Körperschaften.

Die Reform will die Organisationen im Non-Profit-Bereich valorisieren und stärken und die Basis für den Aufbau von modernen Welfare-Systemen schaffen. Sie regelt einerseits die verschiedenen Organisationen, die im 3. Sektor tätig sind, andrerseits auch die Tätigkeiten im allgemeinen Interesse, welche diese ausüben. In anderen Worten: der Gesetzesgeber will die Tätigkeiten im allgemeinen Interesse fördern, die von diesen Organisationen durchgeführt werden.

Welche Organisationen zählen zu den Körperschaften des 3. Sektors?

Petra Bisaglia: Zu den Körperschaften des 3. Sektors zählen die Vereine, welche als ehrenamtliche Organisationen eingetragen sind, die Vereine zur Förderung des Gemeinwesens, die Sozialgenossenschaften und die Sozialunternehmen, die Gesellschaften zur gegenseitigen Unterstützung, die philanthropischen Organisationen und die anderen Körperschaften des 3.Sektors wie anerkannte Vereine, Stiftungen etc.

Neben den Sozialgenossenschaften gibt es in Südtirol nun das Sozialunternehmen, als neue Unternehmensform. Was ist das genau und warum wurde diese neue Unternehmensform eingeführt?

Petra Bisaglia: Eine Sozialgenossenschaft ist nach der Reform des 3. Sektors rechtlich gesehen ein Sozialunternehmen, d.h. Sozialgenossenschaften sind durch die Reform des 3. Sektors automatisch Sozialunternehmen geworden. Beide verfolgen eine gemeinnützige Zielsetzung, d.h. sie verfolgen die Wahrnehmung von sozialen, sozio-sanitären, sanitären, erziehungsbezogenen und kulturellen Dienstleistungen, oder fördern die Arbeitseingliederung von benachteiligten Personen. Bei den Sozialgenossenschaften steht die Mitgliedsförderung im Vordergrund, bei den Sozialunternehmen sind ökonomische Ziele vordergründig.

Im Raiffeisenverband haben wir bereits einige Sozialunternehmen, die Mitglied sind, wie beispielsweise die SPES, eine Organisation, die bei der EOS angesiedelt ist oder auch das Südtiroler Bildungszentrum. Daneben gibt es eine Reihe von Unternehmen, die gerade in der Entscheidungsphase sind auf dem Weg zu einer Sozialgenossenschaft oder einem Sozialunternehmen. Ich bin sicher, dass der eine oder andere Verein später als Sozialgenossenschaft oder Sozialunternehmen Mitglied im Raiffeisenverband Südtirol werden wird.

Worin liegt genau der Unterschied zwischen einer Sozialgenossenschaft und anderen Körperschaften des dritten Sektors?

Petra Bisaglia: Ein Unterschied ist sicher die Form, die interne Struktur und die Systeme, die es in diesen beiden Organisationen gibt: die Sozialgenossenschaft ist ganz klassisch eine Genossenschaft, die von ihren Mitgliedern unternehmerisch geführt und getragen wird. Dabei sind die Mitglieder teilweise arbeitende Mitglieder. Die klassischen Vereine z.B. haben einen ehrenamtlichen Vorstand und vorwiegend ehrenamtliche MitarbeiterInnen. Der nicht anerkannte Verein unterliegt in seiner internen Vereinsordnung nicht so strengen Formvorschriften wie Sozialgenossenschaften. Die Organe, die Struktur sowie die Aufnahme und der Ausschluss von Mitgliedern können im Unterschied zur Sozialgenossenschaft freier gestaltet und in der Satzung definiert werden. Auch in der steuerlichen Behandlung und in den buchhalterischen Verpflichtungen gibt es Unterschiede.

Es geht auch um die Haftungsfrage?

Petra Bisaglia: Genau. In Sozialgenossenschaften gibt es eine die Trennung des Genossenschaftsvermögens vom Privatvermögen der Mitglieder. Im Haftungsfall wird auf das Genossenschaftsvermögen zurückgegriffen, dies bewirkt eine Haftungsbegrenzung für die Mitglieder des Verwaltungsrates. In Vereinen ohne Rechtspersönlichkeit haften die Mitglieder unbeschränkt, d.h. die Haftung ist betraglich unbegrenzt, insbesondere wird hierdurch auch die Haftung des Privatvermögens der Vorstände erfasst.

Wie schätzen Sie persönlich diese Reform ein und wo orten Sie Verbesserungspotential?

Petra Bisaglia: Die Reform ist eindeutig eine positive Entwicklung, denn das Gesetz reformiert den 3. Sektor. Allerdings zögert sich die Umsetzung hinaus, es fehlen im Moment noch viele Durchführungsbestimmungen und viele Dinge sind noch abstrakt und in der Praxis noch nicht anwendbar. Oft gibt es Unklarheiten in der Anwendung der Bestimmungen, da die Landschaft der Non-Profit Organisationen sehr heterogen ist und nicht alle Bestimmungen für alle anwendbar sind. In der kommenden Phase werden mehrere Durchführungsbestimmungen verabschiedet, das ist auch Aufgabe von mir und eines interdisziplinären Teams im Raiffeisenverband, bestehend aus Berater/innen im Bereich Steuer, Recht, Personal und Unternehmensberatung diese Entwicklungen und Gesetzesveränderungen zu begleiten und für unsere Sozialgenossenschaften zu interpretieren. Einer der großen Vorteile der Reform des 3. Sektors, ist, dass Körperschaften des 3. Sektors, die bisher keine oder nur marginale gewerbliche Nebentätigkeiten ausüben durften, jetzt in bestimmten Situationen eine gewerbliche Tätigkeit ausführen können, auch wenn sie als Haupttätigkeit die institutionelle soziale Tätigkeit haben.

Wie viele Vereine sind hier betroffen?

Petra Bisaglia: Das ist derzeit noch schwierig einzuschätzen, bisher gab es viele Vereine die im Onlus-Register eingetragen waren. Durch die Errichtung des nationalen Registers der Körperschaften des 3. Sektors wird das Onlus-Register abgeschafft. Man muss jetzt schauen in wie weit die Vereine den Schritt wagen, sich als Sozialunternehmen eintragen zu lassen oder nicht. Eine Option ist immer noch, dass sie weiterhin ein anerkannter Verein bleiben mit juristischer Person. Derzeit ist es noch zu früh, um das einschätzen zu können.

Wie geht’s weiter?

Petra Bisaglia: Ehrenamtliche Vereine, Vereine zur Förderung des Gemeinwesens und Onlus-Vereine müssen bis 3. August 2019 ihre Vereinsatzung an die neuen Bestimmungen des 3. Sektors anpassen. Voraussichtlich wird am Jahresende bzw. 2020 das nationale Register errichtet. Eine Reihe von Organisationen werden sich an die neuen Bestimmungen anpassen, um sich als Körperschaft des 3. Sektors einzutragen. Seit heuer unterliegen die Körperschaften des 3. Sektors zu mehr Transparenz in Bezug auf die erhaltenen öffentlichen Beiträge und  Zuwendungen. Vereine mussten diese z.B. auf deren Homepage veröffentlichen, Sozialgenossenschaften gehen dieser Verpflichtung im Bilanzanhang nach. Es werden demnächst die Durchführungsbestimmungen zur Sozialbilanz erlassen, des Weiteren werden die weiteren Tätigkeiten von Vereinen geregelt. Es fehlen noch die Durchführungsbestimmungen zu den steuerlichen Begünstigungen für die Körperschaften des 3. Sektors.

Petra Bisaglia

Petra Bisaglia ist Expertin für Sozialgenossenschaften. Seit dem Vorjahr betreut sie, als Mitarbeiterin der Hauptabteilung Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften beim Raiffeisenverband Südtirol in Bozen, Sozialgenossenschaften in allen Belangen von der Gründung bis zur Finanzierung und setzt sich für die Interessen von Sozialgenossenschaften ein. In Ihrer Rolle fördert sie zudem Netzwerke unter den Sozialgenossenschaften und betreibt Lobbying und Interessensvertretung im Sinne des Genossenschaftswesens.