"...immer am Ball bleiben."

Was vor 25 Jahre als Initiative einzelner Frauen gestartet ist, ist heute ein Unternehmen mit über 200 Angestellten: die Sozialgenossenschaft Tagesmütter in Bozen. Im Gespräch erläutern Judith Vonmetz, Geschäftsführerin und Hackl Eleonore, Präsidentin der Sozialgenossenschaft wie es um die Kleinkindbetreuung in Südtirol steht.

Wie geht es der Sozialgenossenschaften 25 Jahren nach der Gründung?

Eleonore Hackl: Recht gut. Von den Anfängen bis jetzt haben wir eine beachtliche Entwicklung gemacht.

Judith Vonmetz: Wir stehen gut da. 220 Tagesmütter, Kinderbetreuerinnen und Verwaltungsmitarbeiterinnen arbeiten derzeit für die Sozialgenossenschaft Tagesmütter im Tagesmutterdienst und in den Kinderstätten und begleiten fast 1.000 Kinder im Jahr. Derzeit tut sich viel in Südtirol, auch weil sich die gesamte Finanzierungsituation geändert hat.

Inwiefern?

Vonmetz: Neu ist, dass künftig auch die Gemeinden bei der Kinderbetreuung mitfinanzieren und ihren kleinen Bürgern einen Mindestanteil an Betreuung gewährleisten müssen, auch für die 0 bis 3-Jährigen.

Und wie geht es den Südtiroler Gemeinden damit?

Vonmetz: Bis 2016 gab es rund 40 Gemeinden, die sich mit diesem Thema noch überhaupt nicht auseinandergesetzt hatten, vor allem in ländlichen Gebieten. Das ändert sich nun. Andere Gemeinden, wie beispielsweise Bozen, garantieren heute schon mehr als 30 Prozent Betreuungsplätze.

Wie steht Südtirol damit im europäischen Vergleich da?

Vonmetz: Im Vergleich zum Rest Italiens stehen wir gut da. Im EU-Vergleich müssen wir jedoch noch aufholen: In anderen Ländern, wie in Deutschland, ist das Recht auf einen Betreuungsplatz bereits gesetzlich verankert. Das kommt auch bei uns, da einer EU-Vorgabe zufolge, bis ins Jahr 2020 30 Prozent Betreuungsplätze für Kinder zwischen 0 bis 6 Jahren geschaffen werden müssen. Damit habe ich als Familie dann das Recht auf einen Betreuungsplatz für meine Kinder.

Welcher Betreuungsschlüssel ist da vorgesehen?

Vonmetz: 1:5. Bei den Kindertagesstätten in Italien ist das bereits so, bei den Tagesmüttern hingegen liegt er noch bei 1:6. Das wird sich 2018/19 ebenfalls auf 1:5 senken. Das ist ein recht guter Schlüssel. Natürlich gäbe es pädagogisch noch wertvollere Schlüssel, aber das hat immer auch mit Finanzierung zu tun. Wenn man bedenkt, dass man in den Kindergärten einen viel höheren Schlüssel hat, nämlich 1:13, sage ich dass er sehr gut ist.

Hackl: ...für Kinder, die noch nicht bei der Tagesmutter oder in Kleinkinder-Gruppen waren, ist der Eintritt in den Kindergarten schon eine große Umstellung.

Vonmetz: ...auch weil dort der Altersunterschied sehr groß ist innerhalb der Gruppen sind 2 1/2-Jährige zusammen mit oft 7-Jährigen.

Wie groß ist denn das Interesse unter jungen Leuten diesen Beruf zu ergreifen?

Vonmetz: Immer größer. In Südtirol haben wir momentan 160 an der Ausbildung als Tagesmutter interessierte Frauen.

Hackl: In der Hannah Arend-Schule starten heuer zum ersten Mal zwei Klassen für die Ausbildung zur Kinderbetreuerin, die dann auch in der Kitas arbeiten werden.

Und das sind vornehmlich Frauen, oder?

Vonmetz: Ja. Früher haben sich vor allem Frauen mit eigenen Kindern für diese Arbeit interessiert, die zu Hause bleiben wollten, solange ihre Kinder klein sind. Heute entscheiden sich immer mehr junge Frauen ganz bewusst für diese Ausbildung, noch bevor sie ihre Kinder haben. Und vereinzelt gibt es nun auch Tagesväter. In Südtirol sind es derzeit zwei.

Hackl: Auch im Vorjahr hatte ich einen Praktikanten, der ein Monat bei uns Pflichtpraktikum gemacht hat. Der ursprünglich gelernte Schlosser wollte etwas Soziales machen und ist nun Kinderbetreuer. Er liebt das und kann das. Er hat auch kein Imageproblem, damit zu sagen "Ich bin Kleinkindbetreuer".

Warum melden sich trotzdem so wenige Männer für diesen Beruf?

Vonmetz: Das hat natürlich mit der Bezahlung zu tun, denn die ist für Tagesmutter oder Kinderbetreuer nicht so rosig.

Was verdient eine Tagesmutter?

Vonmetz: Ein Kinderbetreuer in Vollzeit verdient netto 1.000 Euro im Monat, bei 38 Stunden in der Woche und das ist zu wenig auch für Familiengründung. Da wird darauf hingearbeitet auch zusammen mit den Gewerkschaften, dass sich das bessert. Ein Thema in diesem Zusammenhang ist, dass alle Genossenschaften im Ausschreibungskontext sind. Und solange die Höhe der Gehälter nicht einheitlich verankert ist, ist natürlich jede Genossenschaft, die gehaltsmäßig mehr bezahlt benachteiligt in der Ausschreibung. Solange es diesen Ausschreibungskontext gibt, sind nur wenige Genossenschaften gewillt ihren Mitarbeiter extrem viel zu bezahlen, wenn vom Gesetz nur 1.400 Euro Brutto vorgesehen ist.

Wie ist das in Deutschland?

Vonmetz: Da ist es unterschiedlich, je nach Bundesland, aber insgesamt besser. Der höhere Standard dort hat auch damit zu tun, dass es zu wenige Kinderbetreuer gibt. Und somit puhlt jede Genossenschaft um die wenigen Verfügbaren. Abgesehen davon sind Anbieter in Deutschland und Österreich weniger in diesem Ausschreibungskontext. Italien ist hier Vorreiter. Unsere Entscheidungsträger lieben Ausschreibungen. Da wird der Preis oder Qualität/Preis von einer pädagogischen Fachkraft bewertet und im Endeffekt entscheidet doch der Preis.

Welche Kriterien zählen noch?

Vonmetz: Der Betreuungsschlüssel, das pädagogische Konzept, die Gestaltung der Eingewöhnungsphase, die verpflichtende Weiterbildung der Angestellten, Elternarbeit, das Verhältnis zu anderen sozialen Diensten, also Übergang in den Kindergärten...das alles wird in einem pädagogischen Konzept niedergeschrieben und das wird dann bewertet.

Und da steht ihr ja ganz gut da oder?

Vonmetz: Doch doch, die Ausschreibungen gewinnen wir fast immer.

Aber?

Vonmetz: Die Konkurrenz schläft nicht. Alles was man abgibt, ist einsehbar für die Konkurrenz. Wenn wir einmal eine Ausschreibung gewinnen, heißt das nicht, dass wir auch das nächste Mal gewinnen. Das gibt es ja nicht ein Patentrezept. Da muss man immer recht viel entwickeln und entwickeln und ...

Hackl: ... immer weiter am Ball bleiben. Und Nischen finden.

Wie sieht es mit der Unterstützung aus der Wirtschaft aus?

Vonmetz: Bei Betriebstagesstätten fließen schon auch Geldmittel für Kinderbetreuung: Salewa Oberalp, Volksbank, Dr. Schär bieten Kindertagesstätten an und dieser Dienst wird sehr gut angenommen. In einigen Firmen gibt es bereits zu wenige Plätze. Mitarbeiterinnen gehen heute schon davon aus, dass sie einen Betreuungsplatz für ihr Kind bekommen, weil sie ja hier arbeiten. Das ist spannend. Das ist mittlerweile auch ein Soll der Firma.

Was macht die Sozialgenossenschaft Tagesmütter letztendlich aus?

Hackl: Tagesmütter schätzen bei uns, dass sie sich einbringen können und dass sie gehört werden. Sie wissen es auch zu schätzen, dass ihnen von der Zentrale sehr viel Bürokratie abgenommen wird: Sie brauchen keine Rechnungen zu schreiben und sie bekommen pünktlich ihren Gehalt. Das erleichtert das Leben einer Tagesmutter.